Zeitgemäß gebrochen

■ Aus Bethlehem an die Weser: John Gorka

Die Zeiten, in denen der „American Folksong“ ein eher muffiges Schattendasein führte, haben John Gorka nicht gerade in eine Sinnkrise gestürzt. Zwischendurch klingt er nämlich, als hätte er das unveröffentlichte Material von Männern wie James Taylor und Kris Kristofferson geerbt: Dann führen die sanften Melodiebögen und die grade geschlagene Rhythmusgitarre die melancholischen „Neighbourhood“-Geschichten mit den eingängigen Refrains direkt zurück zu den Songwritern der ersten Generation. Hätte er „Help Me Make It Through The Night“ gespielt, es hätte nicht störend gewirkt zwischen Titeln wie „When She Kisses Me“ und „The Sentinal“.

Doch John Gorka aus Pennsylvania ist erst 33 Jahre alt, gilt als hochgelobter Vertreter der neuen Folkgeneration, hat gerade seine dritte Platte gemacht und tourt derzeit durch Europa — mit nur einem Auftritt in Deutschland, am Freitag in der Kleinen Schauburg, vor rund hundert Zuhörern: ein exklusives Vergnügen.

Und natürlich singt er nur eigene Stücke, Balladen, County- Blues und mehr zupackende, meist die Realität seiner Heimatstadt Bethlehem (Penn.) beschreibende Songs. Dazu spielt er einfach, beinahe schlicht Gitarre, garniert die Lieder mit humorvollen Ansagen, kommuniziert freundlich und unaufdringlich mit dem Publikum und bittet um „Requests“, die dann auch genannt und sofort gespielt werden.

Unter ihnen die beiden eindringlichsten Beispiele des Abends: „Where The Bottles Break“ beschreibt zu harten Akkorden die Umgebung der „Steel Company“ im Zentrum Bethlehems, und „Semper Fi“ in klarer, unverschlüsselter Poesie die Army- Zeit seines Vaters. Bei solchen Songs löst er sich von frühen Vorbildern, gibt ihnen mit zwischen Lässigkeit und gepreßter Energie schwankender Stimme den zeitgemäßen, gebrochenen Charakter.

Die Zukunft des Folks verkörpert er auch dann nicht, aber der hat eh keine: Seit Angedenken beschränkt sich seine Erneuerung auf die jeweils „moderne“ Interpretation. Hier liegt Jan Gorka voll im Trend — einschließlich seiner Vorliebe für die frühen 70iger.

Mit seiner sypathischen Zurückhaltung sorgt er selbst dafür, daß man seine Solokonzerte nicht mit dem Großen Auftritt verwechselt.

Rainer Köster