Unter uns: Virtuosen!

■ Das Theater Aus Bremen, kurz TAB, mit Shakespeares „Maß für Maß“ im Schlachthof

Als wäre alles wieder gut! Nach all den armen Abenden, an denen man der freien wie der gefangenen Bremer Kultur trotzen gelernt und sich schon Pfade zu Notausgängen getrampelt hat! Da gerät man plötzlich auf eine Lichtung, wo derart Labsal quillt, daß man ein Bäuerchen machen könnte.

Auf der Lichtung leben die TABs und machen da vielleicht ein Theater! So eins, daß man aus dem Applaudieren gar nicht mehr raus kommt. Das kommt von drei wunderbaren SchauspielerInnen und einem wunderbaren Regisseur, huldigen wir ihnen gleich mal — huldig, huldig! — und ihrem Konzept, das geht so: alle Windmaschinen stop, dafür volle Ausdruckskraft voraus! Da fließen schiere hohe Spielkunst, präzises Feuer, kluge Komik und äußerste Reduktion zusammen und bleiben doch durchsichtig. Und wir sind glücklich und gehen mit, ahoi! So einfach ist das manchmal. Aber das Beste ist ja meistens einfach.

Und ganz in Shakespeares Sinn: die Bühne ohne Zizazauber, die Schauplätze immer als Illusion; die Sprache soll die Bilder erzeugen. Und komisch ist traurig und das Ernste lachhaft. Die Schauspieler dazu müssen von großer Kraft und klar und: magisch sein.

Das machen sie wie mit links: Anke Engelsmann, Peter Kaempfe (mit Glatze!), Rudolf Höhn. Diesmal nur im Publikum: Gabriele Blum. Alle vier sind ja, zusammen mit Chris Alexander (wissen wir, wissen wir), der Shakespeare Company entsprungen, Rudolf Höhn erst jüngst. Ein Aderlaß, man muß es mal sagen, der die Company doch etwas blaß gemacht hat. Wir aber sitzen mit roten Backen und in Massen im Schlachthof; die Bühne ist und bleibt vorhangverhangen in blutrot und lebhaftem Schwarz.

„Maß für Maß“, 1604 uraufgeführt, gehört zu Shakespeares großen Stücken. Es ist eine Lehr- Komödie über richtiges Recht, falsche Ordnung und Verführung durch Macht; über Menschenblut gegen Gesetzesbeil. Eine Sittlichkeitsapostelei dazu. Alles heuchelt um die Wette: der laue Herzog Vincentio von Wien, der die Macht zur Probe an Angelo abgibt, der sie selbstverständlich mißbraucht; die Novizin Isabella, die ihre Keuschheit gewahrt wissen will wie Rumpelstilzchen, der Wüstling Lucio, ein eitler Gerüchtekoch, der dem Herzog eins über seine Selbstgefälligkeit brät. Man könnte jetzt viel Schlaues und Binsenweises über die Moral, die Macht und alle verderblichen Autoritäten sagen, allein: was soll man mit dem abgegrabbelten Zeug. Entscheidend ist doch, wie uns das Entfernte näher gebracht wird und ob es uns auch erreichen will. Aber ach, wie soll man sie loben, ohne zu hudeln?

Schließlich geben hier drei Mimen 14 Rollen, also Welten und noch viel mehr: Peter Kaempfe ist als Angelo ein blutegeliger Kaltschnäuzer zwischen Nosferatu, Mephisto und einer Prise Louis de Funes, als Lucio eine Mischung aus Panzerknacker, Pate und Plaudertasche, als Henker Gruselmaier ein skrupulöses Wiener Würstchen in Landessprache — und als Wachtmeister schließlich ein tumber Tor mit dem Zungenschlag von Tünnes Tegtmeier. Das ist manchmal ein bißchen viel fishing for Lachen; und manchmal schwingt, der uns schon als Original reicht, Jochen Busse mit. Aber das nur am Rande. Damit gleich fix mitweggesteckt sei die Kritik an plumperen Gags, etwa dem mit der Sammelbüchse als Mikrofon.

Wandelndes hysterisches Reinheitsgebot, irre Paarung aus Kreischsäge und Mädchenmorgenblütentraum

Anke Engelsmann ist als wandelndes hysterisches Reinheitsgebot eine irre Paarung aus Kreischsäge und Mädchenmorgenblütentraum — mit dem knickerigsten Knicks, den ich je sah. Oder als Escalus: der Beamte als gefährliche Zitrone. Rudolf Höhn macht dafür aus dem Herzog eine windelweiche Mönchs- Pflaume, die–s faustdick unter der Kutte und zuhause ziemlich sicher Porno-Videos hat. Chris Alexander, Regisseur und Neu- Übersetzer, ist einer mit Hang zum großen Wurf. Wie ein Reißverschluß, komisch und dramatisch, öffnet er uns einen aktuellen Shakespeare, ohne sich übermäßig im Hier und Jetzt zu verfirlefranzen. Wobei intelligente Mätzchen immer und unbedingt erwünscht sind. Für uns wirft das ein Fest ab.

Jubeltrubelnder Applaus. Zunächst im Sitzen. Aber dann reißt es uns doch vom Hocker.

Claudia Kohlhase

Fotos: Frank Pusch