Der schwere Weg zum Ökodorf

■ Das »Modelldorf« Langerwisch versucht seit zwei Jahren, seinen bäuerlichen Charakter zu erhalten/ Investoren nehmen das Dorf jedoch zunehmend in die Zange/ Hochfliegenden Vorstellungen von einem Dorfkonzept folgte die Ernüchterung

Eine gute halbe Flugstunde oder umgerechnet zwanzig Kilometer von Berlin entfernt wohnt ein Storch. Er haust in einem Baumhorst auf einer der vielen Wiesen in Langerwisch — Feuchtbiotope in der Mitte des Ortes. Wäre es nach westlichen Investoren gegangen, stünde auf ihnen längst ein Finanzzentrum. Dann müßte sich der Storch woanders nach einer Bleibe umschauen.

War Langerwisch noch vor der Wende ein verschlafenes, gemütliches Bauerndorf, das von den Plattenbauten des Sozialismus verschont geblieben war, so wird es heute von Investoren heimgesucht, die sich erwartungsvoll ihre schwitzenden Hände reiben. Denn das 700 Jahre alte, idyllische 1.400-Seelen-Nest in der Nähe von Potsdam liegt direkt an der Autobahn, eine knappe halbe Stunde vom Berliner Stadtzentrum entfernt.

Gemeinderätin Elisabeth Schroedter sind vor allem die besonderen sozialen Beziehungen im Dorf wichtig, etwa »daß mir mein Kind wiedergebracht wird, wenn es wegläuft, weil alle sich kennen«. Ein »gesundes Dorf« sei nicht nur eine Ansammlung schöner Bauernhöfe, sondern das gemeinsame Leben und Arbeiten seiner Bewohner — das An- der-Scholle-Kleben. Zu DDR-Zeiten lebten die Langerwischer nebenbei davon, den Vorgarten zu bewirtschaften. Das Obst und Gemüse verkauften sie auf der Straße direkt vor ihren Häusern. Heute ist das jedoch zur Ausnahme geworden, weil die Äpfel im Supermarkt inzwischen billiger sind als beim Nachbarn. Doch wenn die »Beziehung zum Boden« verschwinde, meint Elisabeth Schroedter, »stirbt eine ganze Dorfkultur und damit ein wesentliches Charakteristikum der Mark Brandenburg«.

Weil die Grünen-Politikerin dieses Problem sehr schnell nach der Wende erkannt hatte, gründete sie zusammen mit Langerwischer Bürgern, einem Berliner Stadtplaner sowie einem Architekten eine Arbeitsgemeinschaft, die ein Konzept zur ökologischen Dorfentwicklung aufstellte. Die Zustimmung der Dorfbevölkerung war damals noch enorm. Als die Gruppe im Mai 1990 bei einer Bürgerversammlung erstmals ihr Konzept vorstellte, war die Halle »rappeldickevoll«. Eine Woche später fanden Kommunalwahlen statt. Mehr als zwei Drittel des neuen Gemeinderates stammten aus der Arbeitsgemeinschaft. Kurze Zeit darauf wurde die brandenburgische Regierung auf das kleine Dorf aufmerksam und nahm es nachträglich in das Städtebauliche Förderungsprogramm des Bundes auf. Dadurch fließen Sanierungsgelder schneller in den Ort. Langerwisch wurde für die nächsten zehn Jahre zum Modelldorf gekürt, an dem sich zeigen soll, ob und wie ein Dorf in der Nähe von Berlin seinen bäuerlichen Charakter bewahren kann.

An Ideen fehlte es der Öko- Gruppe nicht. Ihr Konzept sah eine ökologisch und sozialverträgliche Standortplanung für Gewerbe und Wohnen vor sowie die Gründung einer Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaft. Da in Langerwisch kein Abwassersystem existiert, war außerdem der Bau einer dezentralen Kläranlage geplant. Der ehemalige Gutshof sollte umweltverträgliche extensive Landwirtschaft betreiben und samstags einen Gutsmarkt halten.

Mittlerweile mußte Elisabeth Schroedter einsehen, »daß man nicht in die Nähe von Berlin gehen darf, wenn man ein ökologisches Dorf gestalten will«. Anders als die Bewohner des kleinen gallischen Dorfes im Asterix-Comic haben die Langerwischer kein Wundermittel gegen die Einflüsse von außen. Die Grundstückspreise im Berliner Umland steigen ständig, und die Langerwischer Bauern verkaufen ihre Flächen, weil sie Geld brauchen. »Die Kinder unserer Leute haben kein Geld, um die Baulücken zu füllen.« Kaum ein Bewohner bewirtschaftet noch den eigenen Garten.

Elisabeth Schroedter befürchtet deswegen, daß Langerwisch in zehn Jahren zu einer Schlafstadt und einem Naherholungszentrum für finanzkräftige Berliner oder gar ein Stadtteil wie Zehlendorf werden wird. »Ob sich die alten Bewohner dann noch wohlfühlen werden, ist die Frage.«

Trotzdem zeigt das Konzept bescheidene Erfolge, da es von der Gemeindeverwaltung mitgetragen wird. Viele Bauvorhaben von Investoren wurden bereits abgelehnt, weil sie den Dorfcharakter zerstört hätten, berichtet Elisabeth Schroedter. Alte Backstein-Gebäude und Flächen, etwa die Feuchtwiesen in der Mitte des Dorfes, wurden unter Schutz gestellt. Der Gemeinderat achte darauf, daß besondere Ausblicke, etwa auf das Wahrzeichen des Ortes: die Mühlenruine, nicht verbaut würden. Und auch die dezentrale Kläranlage wird demnächst in Zusammenarbeit mit umliegenden Orten gebaut. »Wenn sich ein Bewußtsein für das Besondere am Ort bildet, dann kann kommen, was will« — und das, so findet Elisabeth Schroedter, wäre der größte Erfolg für die Arbeitsgemeinschaft.

Der 26jährige Martin Bildt ist Schäfer und einziger hauptberuflicher Landwirt im Dorf. Er wohnt mit seiner Familie im ehemaligen Gutshof auf einer Anhöhe am Rande von Langerwisch. Auf 50 Hektar gepachtetem Land tummeln sich seine Schafe. Für den Gutsmarkt, den er schon zweimal ehrenamtlich organisiert hat, findet der Schäfer jedoch keine Zeit mehr — er müsse selber sehen, wie er sich über Wasser halte, sagt er. Hinzu komme das geringe Engagement der Leute im Dorf. Inzwischen interessiere die meisten nicht mehr, was in zehn Jahren sei, sondern nur noch ihre momentane Existenzangst. Dennoch befürwortet Martin Bildt das Dorfkonzept und ist darum bemüht, es umzusetzen. Er schlachtet seine Schafe selbst und verkauft sie auf dem Hof, eine Art Erzeuger-Verbraucher-Modell also.

»Ich möchte gerne ökologische Landwirtschaft betreiben«, sagt er. Nur fehlten ihm dazu die Ackerflächen. Die hat in Langerwisch überwiegend die aus der LPG hervorgegangene Agro-Saarmund-Genossenschaft gepachtet, mit deren Preisen er nicht mithalten könne. Den Langerwischer Bauern, »die für ihren recht sturen Schlag bekannt sind«, hätte die Gemeinde mit finanziellen Hilfen die ökologische Landwirtschaft schmackhafter machen sollen. Vieles gehe hier viel langsamer, weil genauer und zukunftsorientierter geplant werde, »aber das verstehen die Langerwischer nicht«. Sie sähen die Ergebnisse nicht, das sei das Problem.

Der Rummel um das Modelldorf scheint Bürgermeister Jörg-Peter Melchior eher unangenehm zu sein. Der 33jährige, der selbst der Arbeitsgemeinschaft angehört und am Konzept mitgebastelt hat, meint heute, daß es nicht der große Durchbruch gewesen sei — »das Ziel wird ständig durch die Entwicklung im Berliner Umland in Frage gestellt«. Natürlich wolle die Gemeinde ökologische Landwirtschaft unterstützen, »der geistige Nährboden ist da«, aber Geld für eine Unterstützung besitze die kleine Gemeinde nicht. Sein größtes Problem ist derzeit, wie man es den Langerwischern ermöglichen könnte zu bauen, um das Dorf vor einer Überfremdung zu bewahren.

Ein gewisser Stolz über das Dorfkonzept ist ihm aber dennoch anzumerken: »Langerwisch hat durch die vielen Diskussionen eine Identität bekommen.« Wer stelle sich denn heute noch hin und sage, er wolle das Natürliche, Dörfliche erhalten, wo alles einer Verstädterung zustrebe. »Das Spannende spielt sich in den Köpfen ab«, und die Grundidee des Konzeptes strahle ab bei alltäglichen Planungsfragen. Zudem kämen durch das Image des Dorfes viele Interessenten nach Langerwisch, die den ländlichen Charakter unterstützen wollten.

Im kleinen Konsum am Dorfplatz jedenfalls wird reichlich geschimpft. Der Gemeinderat stecke Geld in einen Fischweiher und in ein Backhäuschen, statt Wohnungen zu bauen, kritisiert eine Verkäuferin. Viele Bürger seien unzufrieden. Nichts sei passiert seit der Wende, nichts habe sich verbessert, die Straßenbeleuchtung funktioniere immer noch nicht. Im Laden gegenüber der Schloß-Kneipe klingt Fleischer Volkmar Woites Kritik ähnlich: »Ein Ökodorf will hier sowieso keiner, so etwas Altmodisches.« Dann überlegt er kurz und verbessert sich, daß die Idee im Grunde richtig sei — »es ist gut, wenn der alte Dorfcharakter erhalten bleibt, ich will ja auch keinen Supermarkt hier«. Der Storch kann also noch hoffen. Corinna Emundts