Mit den Philistern auf Kriegsfuß

■ Peter Gay porträtierte bei den »Berliner Lektionen« Max Liebermann

Gleich links, wenn man nach Berlin hereinkommt, wohnte er. Max Liebermann lebte neben dem Brandenburger Tor am Pariser Platz. Von dort aus beobachtete der jüdische deutsche Impressionist 1933 die SA-Parade zur Machtübernahme; was ihn zu dem Ausspruch bewog: »Ich kann gar nicht soviel essen, wie ich kotzen muß.«

In der Reihe »Berliner Lektionen« der Berliner Festspiele erteilte der Kulturhistoriker Peter Gay am Sonntag erst mal der Geschichtsschreibung eine Lektion. »Die Geschichte ist unfair«, sie habe Liebermann nahezu vergessen. »Wir suchen uns von der Vergangenheit, was wir brauchen — und Liebermann scheinen wir nicht mehr zu brauchen.« Das Berlin, das Liebermann liebte, sei vom Erdboden verschwunden. Doch wenn er an Berlin denke, denke er an Max Liebermann.

Peter Gay, selbst jüdischer Abstammung, wurde 1923 als Peter Fröhlich in Berlin geboren. 1939 emigrierte er mit seinen Eltern nach Amerika, wo die Familie ihren Namen ändern ließ. Er studierte und lehrte in New York Politikwissenschaft, später sattelte er auf das Fach Geschichte um. Heute ist der Kulturhistoriker Professor für Geschichte an der Yale-Universität in New Haven. Aufsehen erregte er vor allem mit seiner Freud-Biographie.

Peter Gay schaut in die vollen Reihen des Renaissance-Theaters. »Im Ausland ist Liebermann noch nicht einmal ein Name, in den Vereinigten Staaten kennen ihn höchstens eine Handvoll Kunsthistoriker.« Zu zahm, unabenteuerlich und unpolitisch schien der Künstler, als daß er in der Kunstgeschichte eine große Rolle spielen könnte, »dabei war er einer der mutigsten deutschen Maler in der wilhelminischen Zeit«.

Liebermann wurde 1847 in Berlin als Sohn einer Fabrikantenfamilie geboren, »in einer Zeit, in der die Juden hoffen konnten, mit den nichtjüdischen Stadtbewohnern gleichgestellt zu werden«. Die Familie entsprach dem bürgerlichen Klischee, sie hängten sich harmlose Bilder an die Wohnzimmerwand. Lange wehrte sich Max Liebermanns Vater gegen die künstlerischen Ambitionen seines Sohnes, der den väterlichen Druck so stark verinnerlichte, daß er seine sprichwörtliche preußische Arbeitswut nicht mehr als inneren Zwang, sondern als notwendige Tugend empfand. Er lebe, schlafe und arbeite mit der Regelmäßigkeit einer Atomuhr, schrieb er einmal in einem Brief.

Peter Gay wippt rhythmisch an seinem Rednerpult vor und zurück, während er seine Gedanken vorträgt. In sein Deutsch hat sich ein leichtes amerikanisches »r« eingeschlichen. Und wenn er die Bildtitel Max Liebermanns nennt, klingt eine feine süffisante Ironie mit in der Stimme. Das Publikum lauscht amüsiert. »Die Gänserupferinnen«, »Netzflickerinnen«, »Frau mit Ziegen« — die Motive des Künstlers klingen banal. Sein erstes großes Bild stempelte Liebermann zum Apostel der Häßlichkeit, zeitgenössische Kritiker lästerten über ihn. Für Gay haben Liebermanns »mit genauem, unsentimentalen Auge« gemalten Motive gerade in ihrer scheinbaren Banalität etwas Provozierendes: »Er rebellierte gegen die offizielle deutsche Kunst.« Häßliche Gänserupferinnen waren dort nicht gefragt.

Der offizielle Geschmack war auf eine andere Art schlicht: Kunst muß schön sein, das moralische Bewußtsein der Bürger fördern und unterhalten. Zu Liebermanns Zeit war Kunst zwar keine deutlich antisemitische, aber eine hochpolitische Angelegenheit, es galt als Wagnis, »französisch-impressionistisch« zu malen. Auch dem Kaiser malte der Präsident der Berliner »Sezession« zu »verschwommen«. Liebermann wurde im Kaiserreich zur »unbequemen« Person.

Der Künstler sei zwar kein Revolutionär gewesen, so Gays Resümee, »aber er stand sein Leben lang mit den Philistern auf Kriegsfuß.« Seine antiautoritäre, schnodderige Haltung habe ihn zum typischen Berliner gemacht — und so habe er auch gesprochen. Wofür Liebermann allerdings kein Auge hatte, waren die neuen expressionistischen Strömungen in der Kunst, mit Picasso konnte er nichts anfangen. Im hohen Alter wurde er sogar zum Konservativen: »die Kunst hatte sich bewegt, und er war stehengeblieben«.

Peter Gay zeichnete das Porträt eines Künstlers, der sich gegen die bürgerliche Umwelt auf seine Art wehrte. Gay beschränkte sich darauf, die künstlerische Entwicklung zu beschreiben. Wie Max Liebermann eine Zeit erlebte, in der der Antisemitismus immer stärker auf dem Vormarsch war, ließ der Kulturhistoriker offen. Corinna Emundts