Großstadtwetter hausgemacht

■ Wissenschaftler haben jetzt einen Zusammenhang zwischen der Stadtbebauung und den Klimaveränderungen festgestellt

Buch. Der Hauptstädter braucht ein wetterfestes Gemüt — subtropisches Klima in Berlins Mitte, wirbelartige Stürme in den Außenbezirken. Aber nicht Ozonloch oder Abholzung des Regenwaldes sind die Ursachen für diese Wetterkapriolen. Die Bioklimatologen um Doktor Elisabeth Turowski von der Forschungsstelle in Berlin-Buch sehen vielmehr einen Zusammenhang zwischen der Stadtbebauung und den Klimaveränderungen.

Ob im Friedrichshain oder in Prenzlauer Berg, in den Arbeitervierteln, wo Gebäude aus der Gründerzeit einander drängen, machen die Mitarbeiter des Deutschen Wetterdienstes kaum einen Luftaustausch aus. Zudem finstere oder sonnenüberstrahlte Hinterhöfe. Nach Ansicht von Frau Turowski haben es dort vor allem Kinder und ältere Menschen schwer, sich wohlzufühlen. Überaktivität oder gegen Null tendierende Bewegungslust seien zwei Extreme, mit denen Körper und Geist auf solche Verhältnisse reagieren.

Ein anderes Extrem bieten Satellitenstädte wie Marzahn oder Hohenschönhausen. Von den Meteorologen werden vor allem der mangelnde Schutz vor heftigen Wirbelwinden und direkter UV-Sonnenstrahlung kritisiert. Magistralen auf der einen und die konzentrierte, uniforme Bebauung auf der anderen Seite führten zu künstlichen Düseneffekten. »Egal ob Mitte oder j.w.d., an Grün fehlt es der Hauptstadt generell«, meint Frau Turowski. »Dabei würden Bäume und Sträucher nicht nur gegen Hitzebelastung und Kältestreß, sondern auch vor Straßenbahnlärm und Autoabgasen schützen.«

Die Großstadt bringt durch die Verformung des natürlichen Wetters laut Frau Turowski immer Belastungen für die Psyche mit sich. Das Bucher Team ist schon Mitte der 80er Jahre angetreten, diese Belastungen in für den menschlichen Organismus aktivierende Bahnen zu leiten. In die staatsgelenkte sozialistische Baukultur fanden die Erkenntnisse zum Phänomen Stadtklima jedoch kaum Eingang. Schadensbegrenzung hieß seinerzeit die Devise. Vornehmlich für Kindergärten und Altenheime wurden Analysen zur Gestaltung von Innenhöfen erarbeitet.

Die Chance eines Neuansatzes für die Städteplanung sieht Frau Turowski bei der Gestaltung des einstigen Mauerstreifens. Der Bucher Sachverständigenrat wurde bei städtebaulichen Wettbewerben des Berliner Senats gehört, so bei der Neugestaltung des S-Bahn-Bereiches Gesundbrunnen.

»Unsere Forderung nach mehr Grün für Berlin kollidiert jedoch mit den Interessen der Investoren«, beschreibt Frau Turowski ihre ersten Wettbewerbserfahrungen. Sie warnt vor einer weiteren Zerschneidung der Stadt durch Hochstraßen und geschlossene Häuserfronten. Statt dessen plädiert sie für Unterführungen und vielgestaltige Vorbauten sowie »jede Menge Grün«.

Seit Anfang des Jahres firmiert die Bucher Einrichtung als Außenstelle der Zentralen Medizinmeteorologischen Forschungsstelle Freiburg.

Bislang konnte man den westdeutschen »Bestrebungen einer Zentralisierung« widerstehen. Ihre Berechtigung wollen die Bucher mit neuen Projekten wie dem Erstellen einer Bioklimakarte für Berlin nachweisen. Holger Paech (adn)