Kubas Medien liegen im Koma

Zwei Drittel aller Zeitschriften des Inselstaates sind eingestellt/ Der politische Druck auf die Presse nimmt zu  ■ Aus Havanna Bert Hoffmann

Wie jeden Morgen stellt der Verkäufer das Schild in das Fenster seines kleinen Kioskes in Havannas zentraler 23.Straße: „No hay prensa“ - „Es gibt keine Zeitungen“. Der kleine Stapel, der ihm seit der drastischen Kürzung der Zeitungsauflagen noch geliefert wird, ist spätestens um halb neun vergriffen. Eine Ausgabe der 'Granma‘, des auf vier, an zwei Tagen noch auf sechs Seiten geschrumpften Organs der Kommunistischen Partei, wird auseinandergefaltet hinter die Scheibe geklemmt und fungiert fortan als Wandzeitung. Für den Rest des Tages bietet der Kiosk nur noch Stadtpläne von Minsk und Kiew an sowie die ebenso unverkäuflichen, vor Jahren in Massenauflage gedruckten Verzeichnisse der kubanischen Postleitzahlen.

Kubas Medien liegen im Koma. Seit die Papierlieferungen aus der Sowjetunion ausbleiben, erlebt die Presse der sozialistischen Karibikinsel eine Kürzungswelle ohne Beispiel. Von den 733 Publikationen, die 1990 auf Kuba herausgegeben wurden, existieren nur noch 265. Von diesen sind vier Fünftel wissenschaftlich-technische Zeitschriften, die aus ökonomischen Gründen aufrecht erhalten werden müssen. Denn angesichts des Devisen-Notstands des Landes beziehen die kubanischen Universitäten und Forschungseinrichtungen nur dank Austausch- Abonnements noch ein Minimum an Fachliteratur aus dem Ausland.

Bei der Produktion für das kubanische Publikum allerdings gab es derlei Rücksichten nicht. Mit nur noch fünf Erscheinungstagen pro Woche ähnelt das einstige Flaggschiff der kubanischen Presse, die ausgedünnte Parteizeitung 'Granma‘, zwar zunehmend der untergehenden Titanic, dennoch ist sie als die einzige überhaupt noch erscheinende Tageszeitung des Landes konkurrenzloser denn je. Die übrigen Tageszeitungen Kubas sowie die Provinzblätter sind auf wöchentliches Erscheinen umgestellt worden, und die 'Bastin‘, die täglich in 50.000er- Auflage erschienene Zeitung der kubanischen Armee, ist gar gänzlich gestorben.

Im Kulturbereich ist es einigen der ersatzlos gestrichenen Zeitschriften allerdings gelungen, sich zumindest vorübergehend dank ausländischer Finanzierung und „Kooperationsverträgen“ am Leben zu erhalten. Die renommierte Filmzeitschrift 'Cine Cubano‘ etwa wird derzeit in Venezuela gedruckt, auf Hochglanzpapier und in für Kubas Presse ungewohnter Farbqualität. Und während die papierlosen Druckereien auf Kuba mit kaum mehr als „Null-Arbeit“ darniederliegen, läßt seit Februar selbst die Parteizeitung 'Granma‘ ihre wöchentliche Auslandsausgabe für Lateinamerika in Mexiko drucken.

Doch nicht nur die Printmedien trifft der Kürzungshammer. Auch den beiden Kanälen des Staatsfernsehens ist unlängst das Programm auf — insgesamt — 81 Wochenstunden zusammengestrichen worden. Eine Redaktion, die zuvor vier Stunden Vormittagsprogramm gestaltet hat, produziert jetzt noch eine Fünf-Minuten-Nachrichtensendung — ohne eine einzige Entlassung. Denn ungeachtet aller Sparmaßnahmen wird von offizieller Seite selbstverständlich aufrecht erhalten, daß es im sozialistischen Kuba keine Arbeitslosigkeit gibt. Allein „zahlreiche Anpassungen und Änderungen der Personalzusammensetzung“ werden eingeräumt; die von Kürzungen bislang weitgehend verschonten Radiosender und die nationale Nachrichtenagentur 'ain‘ hätten das Gros der freigesetzten Journalisten aufgenommen. Und während es offiziell heißt, daß auch alle Journalistikabsolventen des diesjährigen Universitätsjahrgangs bereits Arbeitsstellen gefunden hätten, schätzt die einstige Chefredakteurin einer dem Rotstift zum Opfer gefallenen Kulturzeitschrift die Zahl der arbeitslos gewordenen Journalisten auf „mindestens 2.000“.

Doch es sind nicht nur diese materiellen Widrigkeiten, die die kubanischen Journalisten hinter der fast hundertprozentigen Systemkonformität ihrer Artikel und Sendungen zu einem kritischen Potential werden lassen. Es ist vor allem die seit nunmehr 20 Jahren immer wieder versprochene „Öffnung“ in den erstarrten Medien, die nie stattgefunden hat — und die derzeit sogar einem noch rigideren Kurs weicht. So hatte die Parteiführung erst im Januar wieder die Hinrichtung eines Exil-Kubaners aus Miami, der staatsumstürzlerischer Sabotage-Pläne für schuldig befunden wurde, zur massiven Warnung an das eigene Volk benutzt: Die Zeit der „Geduld und Großzügigkeit“ mit den „konterrevolutionären, vom CIA manipulierten“ Oppositionellen in Kuba sei vorbei, so der als 'Granma‘-Editorial erschienene Text. Und an die „großartigen Alleswisser“ gewandt, die jetzt Kritik an der Regierung oder dem System üben wollten, drohte die Macht unmißverständlich: „In der Konfrontation auf Leben und Tod, in der unser Volk heute steht, gibt es keinen Platz für solche intellektualoiden Launen.“

„Bei uns herrscht die Kriegs-Logik“, seufzt ein altgedienter Journalist in Havanna: „,Interne Schwierigkeiten öffentlich machen, ist dem Feind eine Waffe in die Hand geben‘, heißt es. Dabei wird auch viel von ,Öffnung‘ geredet, ,die Presse soll kritischer werden‘, all das im Prinzip ja; nur kommt dann sofort: ,Aber jetzt geht das nicht, gerade jetzt, wo der Feind so stark ist.‘ Das Problem ist, daß wir das nun schon ewig hören; immer ist jetzt nicht ,der geeignete Moment‘.“ Er stockt, macht eine Pause, bevor er resigniert fortfährt: „Ich glaub' inzwischen, dieser Moment kommt nie.“

Und er, der seit gut zwei Jahrzehnten in der kubanischen Presse etabliert ist, sprudelt eine endlos scheinende Reihe von Beschlüssen und Erklärungen heraus, die programmatischen Grundsätze des I.Parteitags der KP 1975 und die „Resolution über die Stärkung der Kritik in den Medien“ vom IX.Plenum des ZK 1979, zitiert gar Armee- Chef Raul Castro, der 1980 die „schädliche und kontraproduktive Praxis der Apologetik“ in der kubanischen Presse gegeißelt und den Journalisten die Kritik als „politische Pflicht“ auferlegt hatte, und wiederholt die neuen, Mitte der 80er Jahre erlassenen Richtlinien des Politbüros, als Castro sein Volk und die Presse zur „Rectificación“, zur kritischen „Korrektur von Fehlern und negativen Tendenzen“ aufrief. „An Papieren und Beschlüssen — auch von allerhöchster Ebene! — hat's keinen Mangel; aber guck dir an, wie nach all dem die Zeitungen heute aussehen! Unkritischer geht's wirklich kaum!“

Und in der Tat scheint „die kubanische Presse von einem anderen Stern“ zu sein, wie es der uruguayische Schriftsteller Eduardo Galeano einmal formulierte. Wenn zwei der vier Seiten der 'Granma‘ eine enggedruckte Castro-Rede im vollen Wortlaut füllt, ist das in Kuba das Normalste der Welt. Der Präsident des kubanischen Journalistenverbandes, Julio Garca Luis, steckt so in dem klassischen Dilemma eines Funktionärs, der gleichzeitig nach oben loyal sein, aber dennoch in irgendeiner Weise den Unmut seiner gut 4.000 Verbandsmitglieder artikulieren muß. Und zuweilen wagt er sich dabei ins Feld recht freier Worte, wie in einem bemerkenswerten Interview in der Jugendzeitung 'Juventud Rebelde‘: „Das Modell einer Presse, das wir als Verlautbarungsjournalismus, als apologetisch und ,immer einstimmig‘ bezeichnen können, ist an das Ende seiner Möglichkeiten gekommen“, erklärt Garca Luis dort. Was daraus folgt, vermag er allerdings noch nicht zu sagen: „Das bisherige Presse-Modell des Sozialismus taugt nicht mehr für uns, aber wir werden auch nicht einfach das kapitalistische übernehmen. Wir müssen unser eigenes suchen.“ Immerhin, die Richtung, in die er suchen will, benennt der Chef des Journalistenverbandes: „Der (mit der Rectificación) eingeschlagene Weg hat keine andere Perspektive, als voranzuschreiten zu einer größeren Breite, Freiheit und Öffnung.“ Über die Aussichten dieses Vorhabens bleibt Garca Luis allerdings zurückhaltend. Die bisherigen Versuche seien gescheitert, weil sie die Presse isoliert vom sozialen Kontext gesehen hätten, „und in einem Land wie dem unseren verändert sich die Presse nur als Teil einer Transformation der ganzen Gesellschaft“.

Diese anzugehen, da verläßt den reformwilligen Funktionär jedoch der Mut. Der VI.Kongreß des Journalistenverbandes, der für das kommende Jahr geplant war, ist zunächst einmal auf unbestimmte Zeit verschoben worden. Das Prinzip Abwarten regiert. Man müsse sparen, heißt es als Begründung in einem Brief an die Mitglieder und: „Unter den gegenwärtigen Bedingungen könnte ein Journalistenkongreß sich mit keiner der essentiellen Fragen befassen, die uns am meisten interessieren.“