Die zwei Gesichter der Khmer rouges

■ Korruption unterminiert die ambitionierte UN-Friedensmission in Kambodscha

Die zwei Gesichter der Khmer rouges Korruption unterminiert die ambitionierte UN-Friedensmission in Kambodscha

Gestern wurde in Kambodscha die bislang größte und teuerste Friedensmission in der Geschichte der Vereinten Nationen gestartet, doch die Parade der Friedenstruppe in Phnom Penh war vom Schlachtenlärm begleitet. Trotz des Waffenstillstandes hatten die disziplinierten Guerillakämpfer der Khmer rouges versucht, die Provinzhauptstadt Kompong Thom einzunehmen. Sie wollen Terrain gewinnen und bestätigen so all jene, die den Roten Khmer tiefstes Mißtrauen entgegenbringen und deren Teilnahme an den Friedensverhandlungen seit Jahren gegeißelt haben.

Denn obgleich unter der Schreckensherrschaft des „Bruders Nummer eins“, Pol Pot, in den Jahren 1975 bis 1978 eine Million von sieben Millionen Kambodschanern zu Tode kamen, hatten der Westen — Hans-Dietrich Genscher mit eingeschlossen — und China dafür gesorgt, daß die maoistischen Massenmörder heute im Obersten Staatsrat vertreten sind.

Auf der Ebene der Moral ist dieses Resultat zynischer Geopolitik nach den Mustern des Kalten Krieges unerträglich, doch auf der Ebene realer Politik in Kambodscha wird es sehr viel schwieriger. Während die Khmer rouges in den Städten nahezu einmütig gefürchtet und verhaßt sind, genießen sie bei armen Bauern durchaus Sympathien. Sie sind disziplinierte Bauernsöhne, und vor allem sind sie nicht korrupt.

Die meisten der Soldaten und Bürokraten der von Vietnam 1979 inthronisierten Regierung unter Premierminister Hun Sen saugen hingegen die Bauern und Armen in den Städten gnadenlos aus; Prinz Sihanouks Höflinge haben sich auch bereits einträgliche Posten gesichert. Das Gefälle zwischen Stadt und Land, die hemmungslose Bereicherung durch die städtischen Eliten schaffen erneut jenen sozialen Sprengstoff, den die Khmer rouges schon vor zwanzig Jahren nutzen konnten, um der sozialen Ungerechtigkeit mit ihrem Terror der Tugend entgegenzutreten.

Nach zwanzig Jahren des Schreckens fehlt in Kambodscha eine politische Klasse, die ein Gefühl für ihre soziale Verantwortung hat und den Wiederaufbau des zerstörten Landes vorantreibt, statt die Taschen ihrer Clans mit Hilfsgütern und UN- Geldern zu füllen. Prinz Sihanouk, der sich zweimal mit den Khmer rouges verbündet hat, um selbst wieder an die Macht zu kommen, kritisiert sie jetzt hart. Er sollte besser in seinem Hofstaat nach dem Rechten sehen. Die gigantische UN-Mission ist chaotisch angelaufen, und die Großmächte, welche den Bruderkrieg über Jahrzehnte mit ihren Waffenlieferungen ermöglicht haben, zögern, den schwierigen Übergang zum Frieden zu finanzieren. Doch auch dann ist ein Zurückdrängen der populistisch agierenden Khmer rouges an den Ufern des Mekong ohne eine moralische Wende der politischen Klasse in Phnom Penh nicht vorstellbar. Michael Sontheimer