„Überall nutzen Firmen Gesetzeslücken“

In Polen lassen immer wieder Unternehmer ihre Firmen in Konkurs gehen — um Steuern zu sparen  ■ Aus Bydgoszcz Klaus Bachmann

Dr. Thomas Wojciekiewicz, eigentlich Humanist und jetzt Chef eines mittelgroßen Provinzverlages in Bydgoszcz/Bromberg, sieht sich als Opfer der widersprüchlichen polnischen Wirtschaftsgesetze: „Hätten wir die Jungs im Finanzministerium mit der Nase drauf stoßen sollen, daß da eine Gesetzeslücke ist?“, fragt er und gibt sich selbst die Antwort: „Auf der ganzen Welt nutzen Betriebe solche Lücken aus, wir auch. Nur daß wir den Lücken dann eben zum Opfer gefallen sind.“

Wirkliche Opfer gibt es allerdings nur zwei: den privaten Handelskonzern Weltinex, der im Sommer letzten Jahres Konkurs angemeldet hat, und das polnische Finanzamt, das deshalb seine Steuer- und Zollnachforderungen in Höhe von 240 Milliarden Zloty (rund 40 Millionen Mark) in den Wind schreiben muß.

Weltinex wurde im Sommer 1988 gegründet von einer Gruppe Bromberger Geschäftsleute um die Familie Stajszczak. Schon bald entwickelte sich das Unternehmen, dessen Pressesprecher Wojcikiewicz wurde, zu einem großen Handelskonzern mit Tochterunternehmen in Poznan, Thorn und Schneidemühl. Gehandelt wurde mit Elektronik — und ganz besonders mit Alkohol. Der Schnaps wurde Weltinex dann auch zum Verhängnis.

Zur Jahreswende 1989/90 importierte die Firma über vier Millionen Liter Brandy und Wodka mit den wohlklingenden Namen „Litevska“, „Gospodin“ und „Napoleon“ nach Polen — zollfrei. Laut Lieferschein kam der Schnaps nämlich aus Lesotho, das als Entwicklungsland in Polen von Zoll und Umsatzsteuer befreit ist. Erst später stellten die Behörden nach langwierigen Ermittlungen fest, daß Lesotho keine der genannten Alkoholsorten produziert, die Lieferscheine gefälscht waren und in Wirklichkeit von einer holländischen Ein-Mann-Firma kamen.

Daß Weltinex sich auf den Standpunkt stellte, für etwaige Fälschungen des Holländers nicht verantwortlich zu sein, half da wenig. Sofort stand das Bromberger Finanzamt mit einer Nachforderung von 240 Milliarden Zloty auf der Matte. Da allerdings hatte Weltinex seine hochprozentige Ware bereits unter die Leute gebracht — natürlich ohne Steuern und Zoll auf den Preis zu schlagen.

Zur damaligen Zeit war das eine weitverbreitete Erscheinung, die den staatlichen Schnapsbrennereien gigantische Einnahmeausfälle brachte und die Steuerbehörden mehrere Billionen Zloty kostete. Weil sie dem nicht zuvorgekommen seien, will eine Sonderkommission des polnischen Parlaments nun die Handels-, Finanz- und Außenhandelsminister der Regierungen Rakowski und Mazowiecki vor ein Staatstribunal stellen. Die Importeure selbst, so zeigt das Beispiel Weltinex, kommen besser davon. Weltinex meldete im Sommer 1991 Konkurs an. Kurz zuvor allerdings, so berichtet nun der gerichtlich bestellte Konkursverwalter Mieczyslaw Galaska, habe die Geschäftsführung des Konzerns noch schnell große Teile des Firmenvermögens beiseite geschafft. So seien Firmenwagen, Anteile an anderen Firmen und Gebäude noch schnell an Firmen verkauft worden, die zufällig auch alle dem bisherigen Weltinex-Management gehören: die Polfrost AG, die Maktronik AG und andere. Der Verlag, den Wojcikiewicz nun leitet, gehört zu Polfrost, „weil niemand anders ihn haben wollte“, sagt der Weltinex-Sprecher.

So hat die Familie Stajszczak zwar ihren Konzern verloren, doch kaum etwas von ihrem Vermögen: Polfrost hat mit der Gründung eines eigenen Pressekonzerns bereits die Nachfolge von Weltinex angetreten. Zusammen mit der Maktronik AG und der Securita AG, beide beherrscht von der frühren Weltinex-Führung, hat der Konzern in Warschau auch die „Interbank AG“ gegründet. Dabei bediente sich Janusz Stajszczak eines ganz besonderen Tricks, um in den Genuß all jener Steuernachlässe zu kommen, die Polens inzwischen abgeschafftes Joint-venture-Gesetz für Auslandsbetriebe vorsah: Er gründete die von Polfrost beherrschte Securita AG als Joint-venture mit einer Firma aus Philadelphia, die zuvor von dem Posener Privatkonzern Polexim, stolzer Besitzer einer Bank und eines Versicherungsunternehmens, jenseits des Atlantiks ins Leben gerufen worden war.

Das Nachsehen hatte dabei jeweils Polens Fiskus. Die Methode, sich horrender Steuernachforderungen durch Konkurs zu entziehen, macht indessen Schule. Als ein paar Kilometer weiter in Inowroclaw die „Inobud GmbH“ Pleite machte, wies sie gerade 250 Millionen Zloty Kapital auf. Ihre Steuerschuld betrug da allerdings vier Milliarden. Und die Acumen GmbH in Kielce, die nach Weltinex-Vorbild gigantische Mengen Treibstoff aus Rotterdam, aber versehen mit Lieferscheinen aus Bulgarien, steuerfrei einführen wollte, hat inzwischen ebenfalls Konkurs angemeldet. Konkursverwalter Galaska bedauert heute: „Bis 1989 gab es die Möglichkeit, die Anteilseigner einer GmbH für die Steuerschulden persönlich haftbar zu machen, danach hat man den Paragraphen gestrichen.“

Der Versuch der Regierung Olszewski, ihn wiedereinzuführen, ist bisher am Parlament gescheitert. Nach wie vor gibt es auch keinen Paragraphen, der Bankrotteuren verbieten würde, vor Abschluß des Konkursverfahrens ein neues Unternehmen — oft aufgebaut auf dem Vermögen des Konkursbetriebs — zu gründen. Im Fall Weltinex dürften selbst bei größter Anstrengung nicht mehr als 15 von 240 Milliarden übrigbleiben.