Die Regierungsstädte im Vergleich

■ Diskussionsveranstaltung im Reichstag/ Was kann Berlin von London, Washington, Paris oder aber von Bonn lernen?/ Zustimmung fand nur das Modell Vatikan mit dessen hundert Stellplätzen/ Ein anderer Geheimtip: Florenz

Berlin. Wie wird Berlin aussehen, wenn die Bundesregierung hierher zieht? Um sich dieser Frage zu nähern, lud Bausenator Wolfgang Nagel am Montag abend fünf Fachleute aus dem In- und Ausland in den Reichstag, die vortrugen, wie sich andere Städte — Paris, Rom, Wien, Washington D.C., London und Bonn — mit ihrer Landesregierung eingerichtet haben. Denn auf Berlin könnte Bedrohliches zukommen. Riesige Verwaltungsgebäude mit fünfzig Meter breiten »Sicherheitsvorgärten« könnten sich in der Innenstadt auftürmen und der »normalen Stadt« den Raum nehmen, warnte zu Beginn der Moderator, Professor Peter Zlonicky aus Dortmund.

Sicherheitsvorgärten gibt es in London nicht. In der Themsestadt, trug der Stadtplaner Christian Spath vor, konzentrieren sich die meisten Regierungsbauten in der Altstadt nahe der Tower Bridge. Dazwischen befinden sich »Inseln normalen Lebens«. Trotzdem gebe es zumindest tagsüber kein totes Regierungsviertel, da viele Einheimische und Besucher das Viertel zu Fuß oder per Auto durchquerten. Die Fenster selbst der Downing Street seien kaum sichtbar vergittert. London versuche seit Jahren, einzelne Behördenteile — etwa die Führerscheinstelle oder die Krankenkasse — in die Außenbezirke, aber auch in die strukturschwachen Gebiete des englischen Nordens zu verlegen. Bis 1995 sollen weitere 24.000 Arbeitsplätze aus der Londoner Innenstadt verbannt werden. Bisher allerdings hat diese Verlagerung zwar dazu geführt, außerhalb Londons Arbeitsplätze zu schaffen, jedoch gibt es deswegen in der Londoner Innenstadt mitnichten weniger von Behörden genutzten Büroraum, räumte Spath ein.

Auch in Wien ist das größte der drei Regierungsviertel mitten in der Stadt nahe der Ringstraße, wo man ebenfalls ohne Sicherheitszonen auskommt, führte Spath weiter aus. In Paris, wo die »normale Stadt eingemischt« ist, zogen in den letzten Jahren verschiedene Ministerien aus der historischen Innenstadt in die Außenbezirke um. Dazu gehört etwa das Betonmonster »La Defense«, wo die Umwelt- und die Baubehörde residieren, oder der riesige viereckige Betonbogen des neuerbauten, »städtebaulich schwer zu integrierenden« Finanzministeriums, so Spath. In Rom gibt es überhaupt kein Regierungsviertel mehr, die Behörden residieren in alten Adelspalästen über die Stadt verstreut.

Aus dem Rahmen fällt das jüngere Washington D.C. Quadratische, kasernenähnliche Ministeriumsneubauten drängen sich in zweiter Reihe entlang der Regierungsallee, die auf das Kapitol zuläuft. In der ersten Reihe stehen Museen und Institute, die eigentliche Stadt liegt jedoch weit ab. Auch das fünfeckige Pentagon, ein riesiger, abgesperrter, monolithischer Block, ist »wenig integriert«, sagte Spath.

Die Unterschiede zwischen den einzelnen Hauptstädten wurden präzisier erkennbar, als Stadtplaner von dort referierten. Versailles in Paris sei die »Mondstadt eines Sonnenkönigs, der sie verlor, als das Volk den Himmel wollte«, schwärmte Professor Neil Naizot aus Paris. Die Fassaden von Paris seien geprägt von der Jahrhunderte alten, mystischen Vereinigung von Volk und König. In der heutigen Zeit sei das Stadtbild »nach dem Gebrauch der Begehung durch den Präsidenten gestrickt«. Daß sich Demonstranten mit Spruchbändern und Parolen regelmäßig auf den Regierungsachsen aufreihten, gehöre zum Bild der Politik.

Deutlich volksnäher gab sich Professor Marco Venturi aus Venedig. Der Ausbau Roms zum Regierungssitz und der damit verbundene Einfall der Spekulanten sei von den Anwohnern als zweite Zerstörung empfunden worden, vergleichbar der Invasion und der Brandschatzung durch die Germanen im 16. Jahrhundert. Inzwischen seien vierzig Millionen Kubikmeter der römischen Innenstadt durch Verwaltungsbüros belegt, von denen zehn Millionen Kubikmeter in die Peripherie verlegt werden sollen — nur wann und wie, ist gänzlich unklar. Aber Rom sei ohnehin nur die Hauptstadt der Politik und des Geistes, während das Kapital und die Industrie in Mailand und Turin seien und die eigentliche Regierung im Vatikan sitze. »Und der braucht nur hundert Stellplätze«, sagte Venturi zur Begeisterung der Zuhörer. Übrigens sei die am besten funktionierende Hauptstadt der Welt Florenz: Diese nämlich sei von den italienischen Fürsten als Hauptstadt ausgebaut, aber nie benutzt worden. »So haben die Florentiner die gute Infrastrukur, aber ohne die Belastungen, die der Regierungssitz mit sich bringt«, sagte Venturi.

Bei dieser Aufzählung durfte natürlich Bonn nicht fehlen. Bonn habe sich nie an der Finanzkraft des Bundes bereichern wollen, statt dessen habe man das Regierungsviertel außerhalb der historischen Altstadt erbaut, erläuterte der Bonner Stadtbaurat Trommer. Die Stadt habe sich stets ihre planerische Kompetenz bewahrt und sich bei ihren baulichen Vorstellungen nie vom Bund hereinreden lassen (»alles Lüge« zischte ein Berliner Stadtplaner). Bonn, das erst in den letzten zwanzig Jahren zum Regierungssitz ausgebaut wurde, sei eine »lebenswerte, gemütliche und angstfreie Stadt, eben keine Metropole, wo die Bürger sagen können: Guck mal, da geht Willy zum Friseur«, schloß Trommer. Eva Schweitzer