Ein Zeichen setzen

■ Rücknahme des Edikts wäre ein Symbol der Öffnung

Fünfzehn Jahrhunderte lang haben wir in diesem Land zur kulturellen und wissenschaftlichen Entwicklung beigetragen. In diesem Spanien der drei monotheistischen Religionen hatte jede der drei Gemeinschaften einen eigenen Raum und respektierte die jeweils anderen. Gemeinsam wurde ein kosmopolitischer Raum entwickelt, und das führte zu einem Zusammenleben mit einer kulturellen und sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung. Wir wurden vertrieben, weil die Toleranz zuende ging, weil Fanatismus und religiöse Ausschließlichkeit kulminierten.

Ich glaube ernsthaft, daß die Geschichte Spaniens ohne die Vertreibung der Juden und der Mauren völlig anders verlaufen wäre. Das Zusammenleben machte das Land außergewöhnlich fruchtbar und reich. Spanien kannte bereits im 11.Jahrhundert eine Renaissance, während der Rest Europas am Beginn des Mittelalters stand. Mit dem Fanatismus ging man ins Mittelalter über, als der Rest Europas sich in die Renaissance entwickelte. Selbst die Behandlung der Indios wäre bei der Eroberung Amerikas anders verlaufen, wenn es die Vertreibung nicht gegeben hätte, denn im Zusammenleben der drei Kulturen kannte man den Pluralismus. Spanien ist aufgrund der Vertreibung um wichtige politische Bewegungen wie den Liberalismus herumgekommen. Hier gab es keinen Kapitalismus, keine industrielle Revolution, stattdessen einen Militärputsch nach dem anderen. Spanien bezahlte die Konsequenzen für die Rückständigkeit aufgrund der damaligen Intoleranz. Heute ist es ein modernes, offenes Land mit einer pluralistischen Gesellschaft, wo unterschiedliche Religionen und Kulturen miteinander leben können. Den Ausländerhaß und Antisemitismus, wie er sich in anderen europäischen Ländern breitmacht, werden wir hier, glaube ich, nicht erleben. Dennoch denke ich, daß es gerade angesichts dieser neuen Situation angebracht wäre, auch die Beziehungen zu Israel zu verbessern.

Das Vertreibungsedikt ist de facto zurückgenommen worden. Offiziell jedoch nicht. Ich werde in allen jüdischen Gemeinden der Welt gefragt, ob das Edikt dieses Jahr widerrufen wird. Denn dieses Edikt ist ein Symbol in Erinnerung an unsere Vorfahren. Deshalb erwarten wir ein anderes Symbol seitens der Regierung oder des Königs. Was das Verzeihen angeht — das kann niemand gewähren. Das Böse wurde getan, und die Opfer sind dahin. Niemand hat das Recht zu vergessen oder zu verzeihen. Das gehört der Vergangenheit an, die Wunden hatten Zeit zu heilen. Mehr als um Schuld oder Verzeihen geht es mir um ein Symbol der Öffnung und der neuen Ära zwischen den beiden Völkern. Mauricio Hatchwell Toledano

Der Autor ist Vorsitzender der Stiftung „Freunde von Sefarad“