Moldawien schlittert in einen Krieg

■ In dem von Russen und Ukrainern dominierten Ostmoldawien verstärken sich die bewaffneten Kämpfe mit rumänischen Milizen/ In Rumänien fordert die Opposition den Anschluß Moldawiens

Berlin (afp/taz) — Gibt es jetzt noch einen Krieg in Europa? In der Republik Moldawien (Moldova) sind zumindest schon kriegsähnliche Zustände erreicht. Gestern gab es bei Kämpfen in Ostmoldawien zahlreiche Tote und Verletzte. Seit die russisch-ukrainische Mehrheit in Ostmoldawien, in der Transdnjestrregion, ihren Widerstand gegen die rumänische moldawische Führung verstärkt hat, gehen die moldawischen Verteidigungskräfte in Ostmoldawien zur offenen Konfrontation über. Die russisch dominierten Behörden dieses linksseits bzw. östlich des Dnjestrs gelegenen Gebietes haben am Montag demgegenüber den Ausnahmezustand ausgerufen und für die russische Bevölkerung die allgemeine Mobilmachung angeordnet. Der Präsident der „Dnjestr- Republik“, Igor Smirnow, kündigte die Entwaffnung und Ausweisung aller bewaffneten Anhänger und Behördenvertreter Moldawiens aus dem Dnjestr-Gebiet an. Den politischen Parteien wurde jede weitere Betätigung verboten und die Medien unter russische Kontrolle gestellt. Auch die offiziellen Gebäude werden überwacht. Die Übergänge über den Dnjestr sind gesperrt und können nur mit Erlaubnis der russischen Behörden passiert werden. Dieses Vorgehen der russischen Minderheit stellt eine ungeheure Provokation für die rumänische Mehrheit Moldawiens dar. So ist zu erwarten, daß es zu weiteren und größeren bewaffneten Zusammenstößen zwischen beiden Bevölkerungsgruppen kommt.

Vor drei Monaten hatte die Mehrheit der Bevölkerung in dem östlichen Dnjestr-Gebiet für die Unabhängigkeit von Moldawien gestimmt, das seinerseits im September 1990 von der Sowjetunion unabhängig erklärt wurde. In der „Dnjestr- Republik“ leben nach dem letzten Zensus von 1989 zusammengenommen rund 700.000 Russen (25,5 Prozent) und Ukrainer (28,3 Prozent). 40,1 Prozent der Bevölkerung sind aber Rumänen. Verschärft werden die nationalistischen Auseinandersetzungen durch die Tatsache, daß durch Industrieansiedlungen und durch die Rote Armee die Bevölkerungszusammensetzung seit 1960 zuungunsten der Rumänen verschoben wurde. Die alteingesessene rumänische Bevölkerung sieht sich durch die Immigranten dominiert. Weil die ukrainische und russische Bevölkerung vor allem in den Städten konzentriert ist, so zum Beispiel in der Hauptstadt Tiraspol, und in den ländlichen Regionen dagegen die absolute Mehrheit der Bevölkerung immer noch rumänisch ist, zeigt sich im Konflikt zudem die Dimension des Gegensatzes von Stadt und Land.

Die neuerlichen Kämpfe begannen in der Nacht zum Freitag, als bei einer Schießerei nahe der Stadt Bendery zwei Menschen getötet wurden. Russische Milizionäre erbeuteten am Samstag in der Nähe von Tiraspol bei einem Angriff auf einen Militärstützpunkt der 14. GUS-Armee tausend Kalaschnikow-Gewehre, 1,5 Mio. Schuß Munition, 1.300 Granaten und 30 Flugabwehr-Batterien. Am Sonntag starben bei einem Angriff von Truppen der rumänischen Moldawier auf einen Bus mit 33 ukrainischen Touristen zwei Menschen. Zehn der Touristen werden noch vermißt. Auf der russischen Seite wurden die Milizen durch mehrere hundert Kosaken aus verschiedenen Teilen Rußlands verstärkt.

Aber nicht nur durch diesen Umstand ist der Konflikt schon internationalisiert. Denn die Auseinandersetzungen haben ja auch ihren Grund darin, daß die Führungen der beiden rumänischen Staaten, Moldawien und Rumänien, eine Vereinigung zu einem neuen Großrumänien anstreben und deshalb die Vorgänge in Moldawien in Rumänien selbst höchstes Interesse finden. Denn im Gesamtstaat Moldawien sind 62 Prozent der 4,3 Millionen Einwohner Rumänen gegenüber 23% Russen, 9% Ukrainern und 3% Gagausen — eine türkisch sprechende Volksgruppe. So forderte die rumänische Opposition am Wochenende die Regierung in Bukarest auf, den Rumänen in Moldawien zur Hilfe zu kommen. Die größte rumänische Oppositionsbewegung „Demokratische Sammlung“, die 14 Oppositionsparteien umfaßt, forderte, jeden Angriff auf die Rumänen in Moldawien als einen Angriff auf Rumänien zu betrachten und konkrete Schritte wirtschaftlicher, politischer und monetärer Art zu einem Anschluß Moldawiens an Rumänien einzuleiten. Als die Regierung die Wiedervereinigung Rumäniens zwar für „unausweichlich“, jedoch für noch nicht realisierbar erklärte, konterte die Opposition mit dem Vorwurf, die Regierung erkenne die „Teilung des rumänischen Volkes“ an. er