Zumindest durch staatliches Handeln insofern!

■ Unglaublich: Das erste Konzeptpapier der Kultursenatorin Helga Trüpel ist eine großartige Satire geworden / Bei uns erstmals in historisch-kritischer Ausgabe

Liebes Publikum, du glaubst es nicht, aber: Alle Zitate (kursiv gesetzt) sind wahr. Alle sind dreifach überprüft und authentisch bis zum letzten Kommafehler. Das Papier trägt den Titel Kultur- und Ausländerpolitik / Schwerpunkte und Perspektiven. Unterzeichnet haben: Helga Trüpel, Gerd Schwandner und Ernst Hoplitschek. Die Kultursenatorin, ihr Staatsrat und ihr Pressesprecher. Erstmals kursierte das vier Seiten starke Papier neulich auf der Mitgliederversammlung der Grünen. Wir bringen dieses seltene, aber umso wahrere Dokument in einer kommentierten Edition heraus. Und nun lesen Sie bitte ungekürzt, wie alles anfängt:

Nach den vielen Problemlagen und Identitätskrisen, die dieses neue Ressort auszuhalten hatte, fangen wir erst jetzt an, auch Politik offensiv zu gestalten.

Auch Politik? Bewahre! Wo schon die offensive Sprachgestaltung vollidentisch mit einer akuten Problemlage ist. Allerdings muß noch etwas vorausgeschickt werden:

Vorausgeschickt werden muß, daß es keinen klar definierten und keinen klar zu definierenden Begriff von grüner Kultur gibt, wahrscheinlich kaum geben wird, da Kultur und dessen Sinn und Zweck — anders als die Wissenschaft — rational kaum begründbar ist...

Das hat sie davon, die arglose Kultur, dessen Sinn und Zweck ausgerechnet bei der Kulturbehörde um Asyl fleht: Hier wird sie sogleich und per Schnellverfahren abgeschoben ins Irrationale; hier ist sie so falsch wie die Grammatik; hier spricht das Ministerium für Irgendwas. Es spricht — anders als die Politikwissenschaft empfiehlt — in wundervoll wirren Sätzen wie dem folgenden, den Sie am besten abends bei einem trockenen Weißen genießen:

Faktum ist, daß sich die Gesellschaft immer mehr individualisiert, klassische Bindungen (dazu gehören auch Parteien) verloren gehen und neue Wertmaßstäbe und (individuelle) Lebensstile in einer von zunehmender Freizeit und entsprechendem Budget, das für diese Freizeit immer mehr verausgabt wird, eine Rolle spielen — dann lassen sich zumindest durch staatliches Handeln insofern Rahmenbedingungen setzen, die es ermöglichen, daß historische Werke gepflegt werden und sich neue Entwicklungen entfalten können...

Au, au, halt, halt! Wie ging noch eben die Stelle vor den entfalteten Verwicklungen? Ganz vorn...Faktum ist! Fürwahr, so heben Sentenzen an! Und wirk

hierhin bitte

das Lenkrad

an der Wand

(beschneiden macht nix)

lich, es entringt sich dem stammelnden Ministerium nicht geringeres als die Wahrheit! Leben wir nicht, liebes Publikum, in Zeiten, wo ganze Parteien verlorengehen? Uns aber hinterbleiben zum Troste solche Papiere, dessen Sinn und Verstand rational kaum mehr begründbar ist. Wir ahnen: es schlummert darin alles Grauen eines (dreifach) entschlossenen Guten Willens — wie schnell ist es erweckt! Und erst recht bzw. zumindest durch staatliches Handeln insofern! Irgendwas für alle! Und weil Hinz und Kunz womöglich jetzt immer noch quengeln, kommen bestimmt gleich Multi und Kulti zum Spielen. Ja, da schau her:

Unabhängig von der schwierigen Erklärung dessen, was „Multikultur“, die hier Leitmotiv ist, bedeutet, scheint Kultur geeignet, friedenstiftende Wirkungen zu entfalten.

Ein bißchen. Aber so richtig losgehn wird's mit dem Peace erst, wenn die volle Unabhängigkeit der Kultur von allen schwierigen Erklärungen erkämpft ist; dann sagt sie, die Kultur, zu allem nur noch Muh und Amen und läßt sich vorm Abtrieb ins Jammertal jedes Leitmotiv umhängen, wenn's nur bimmelt. Was aber bleibet dann noch, so knapp vor ihrer endgültigen Aufgabe, der staatlichen Kulturpolitik? Bitte:

Die Voraussetzungen für einen gewaltfreien Diskurs über die verschiedenen Stile und Ausprägungen von Kultur zu schaffen, dies scheint eine wichtige Aufgabe

staatlicher Kulturpolitik zu sein.

Dann soll sie lieber schweigen. Ich seh ja schon den guten alten Diskurs, wie er rot anschwillt und die Fäuste schüttelt. Will da jemand seine Gewaltfreiheit bezweifeln? Was? Voraussetzungen schaffen? Oder wie? Und das gerade ihm, dem Diskurs über die verschiedenen Stile und Ausprägungen von Kultur! Gibt es Gewaltfreieres auf Erden als das gemeinsame Schnarchen? Aber aufgewacht, liebes Publikum, schon ist die Präambel zu Ende, und flugs sind wir bei den geplanten Vorhaben, zuallererst:

Erhaltung der bestehenden, eher klassischen Kulturinstitutionen (Museen, Theater etc.)

Da hüsteln jetzt die verängstigten Museen, Theater etc. ein herzliches „Vergelt's Gott!“ Aber auch die eher weniger klassischen kommen gleich dran:

Förderung von innovativen Kulturprojekten, die einmalige Angebote in einzelnen Stadtgebieten anbieten, wozu die Erhaltung von „unterversorgten“ Gebieten gehört

Das wird all die andern Kulturprojekte, welche mehrmalige Angebote anbieten, ziemlich verdrießen, wozu der Protest „unterversorgter“ Gebiete gegen die Erhaltung ihres beklagenswerten Zustands gehört. Aber gleich sind alle versöhnt:

Festigung und Verfestigung von Kulturprojekten von freien Trägern durch das Bemühen, Zeitstellen zu schaffen

Meine Güte! Man kann ja einstweilen schon mal anfangen mit der Fertigung und Verfertigung von Paradebeispielen von falschen Sätzen, um sich Zeit zu verschaffen, bloß wofür? Daß es weitergeht im Text: Jetzt folgen nämlich, im Gänsemarsch, lauter gute Vorsätze, wirr und noch ziemlich zerzaust, so wie sie eben der Brainstorm an Land geworfen hat:

Förderung der Präsentation von authentischen Werken von Künstlern aus anderen Kontinenten...Förderung einer Streitkultur in der Stadt durch Gespräche...Förderung eines Erfahrungsaustausches über kommunale Kulturpolitik mit grünen Mandatsträgern...Aktivierung...Förderung...

...des Märchenglaubens: Es war einmal, nämlich von Schwerpunkten die Rede. Von Perspektiven gar. In diesem Papier kommt nicht einmal irgendeine Gegenwart vor, von der doch noch die hilfloseste Strategie auszugehen hätte. Aber was heißt Strategie, geschweige Politik! Dieses kulturpolitische Papier ist ja das endlich gefundene Gegenteil von Politik: die Beschwörung der Großen Mauer, vor der man angelangt ist. Wie nützlich wären jetzt zwei, drei konstruktive, wie erfrischend drei, vier destruktive Gedanken!

Stattdessen aber regiert ab dato die Phrase, vermeintlich die kürzeste Verbindung zwischen Wunsch und Wunder. Manfred Dworschak