SOMNAMBOULEVARD — REM-ZEITKONGRESS Von Micky Remann

Zwei Schaltkreise wohnen, ach, in meinem Hirn, wobei der eine stets das träumt, was der andere für wach hält, und umgekehrt. Zu diesem Thema findet in den nächsten drei Nächten ein großer Kongreß auf dem Somnamboulevard statt.

Der Neurobiologe Herb „Hip“ Hopson hat es sich bereits auf dem Podium, einer nocturnen Chaiselongue, bequem gemacht, wo er die auf Futonmatratzen drapierten KongreßbesucherInnen abwechselnd in den Traum und wieder hinaus geleitet.

„Meine Damen und Herren, jetzt bitte ich Sie, so zu tun, als seien Sie wach. Haben Sie's? Danke. Schauen Sie nun ins Innere des Gehirns. Wie Sie selber sehen, ist Ihr aminergisches Neurotransmittersystem jetzt heftigst am feuern, so daß für eine aparte Innenbeleuchtung Ihres Kortex gesorgt ist. Gleichzeitig verrichten die tief unterhalb Ihres frontalen Stirnlappens gelegenen schlafhemmenden Neuronen ihre Arbeit. Das zweite für uns relevante, für die REM-Traumphase verantwortliche und cholinergisch genannte Neurotransmittersystem weist hingegen nur ein geringes Erregungspotential auf, solange Sie wach sind. Das wird sich bald ändern, nämlich dann, wenn ich Sie jetzt bitte, so zu tun, als ob Sie dem Wachzustand adieu sagen und einschlafen wollten. Dazu müssen Sie natürlich zuerst den schlafhemmenden Neuronen mitteilen, daß sie ihre, wie gesagt, schlafhemmende Gehirnarbeit einstellen dürfen. Sind Sie alle soweit? Danke. Und wenn Sie sich jetzt bitte vorstellen, Sie würden müde und immer müder, und eine wohlige Leichtigkeit macht Ihre Glieder schwer und immer schwerer, und wenn Sie sich das so konkret imaginieren, daß Sie die Vorstellung Ihres nahenden Schlafes von der Tatsache weder unterscheiden können noch wollen, dann, ja dann könnte es sein, daß Sie meine Stimme gar nicht mehr hören, weil Sie zu weit weggedriftet sind, und dann müßten Sie auf los zurückkehren und 4.000 Dukaten Kongreßgebühr nachzahlen. Aber offensichtlich sind Sie jetzt doch da, wo Sie schon immer sein wollten, nämlich im berühmten Klartraum mit Wimperntwist, oder auch Rapid Eye Movement genannt, was Sie mit Ihren Pupillen hinter den geschlossenen Lidern unschwer feststellen können.

Wenn Sie jetzt sogar hinter Ihre Pupillen, ins träumende Hirn schauen, sehen Sie, daß inzwischen sämtliche Lichter Ihres cholinergischen Systems angegangen sind. Mit dieser neurochemischen Nacht-Software funktioniert Ihr Gehirn natürlich auf eine völlig andere Weise, als wenn Sie das aminergische Wach- System eingeschaltet hätten.

Spüren Sie den Unterschied? Auch Sie in der hinteren Futonreihe? Ja? So, und nun dürgen Sie genießen, wie Ihre Nerventräume in satten Wellen aus dem Stammhirn in den Kortex schwappen, und lassen Sie sich getrost Zeit, Ihre luziden Hologramme in Ruhe zu studieren. Gut.

Der Diavortrag Auf der REM- Zeitbahn nachts um halb eins findet dann in der nächsten REM-Phase des Kongresses statt. Vielen Dank.“