Ein Schatten von Hamlet

■ Christa Thelen sprach mit Maurizio Nichetti, dem Regisseur von „Von Luft und Liebe“

Maurizio Nichettis Karriere begann am Theater. Von 1971 bis 1978 arbeitete er in den Zeichentrickstudios von Bruno Bozetto. 1977 entstand sein erster Spielfilm „Ratataplan“. Sein Film „Die Seifendiebe“ wurde 1989 mit dem großen Preis des Moskauer Filmfestivals ausgezeichnet.

taz: Sie sind Schauspieler, haben Drehbücher geschrieben, für das Fernsehen gerabeitet, Sie machen Kinofilme. Was sind Sie eigentlich von Beruf?

Maurizio Nichetti: Ich bin Regisseur.

Aber angefangen haben Sie ursprünglich als Schauspieler.

Das ist eine lange Geschichte. Ja, ich habe am Theater begonnen. Anfangs hat es mir auch gefallen. Die Proben und die ersten Aufführungen. Aber dasselbe Stück dann hundertmal zu spielen, hat mich eigentlich nicht interessiert. Wenn ein Theaterstück vom Spielplan genommen wird, bleibt einem nichts. Ich ziehe es vor, mir meine Arbeit auch nach Jahren noch einmal ansehen zu können.

Da sind Sie beim Film ja genau richtig. Welche Rollen haben Sie denn am Theater gespielt?

Ich habe zum Beispiel Hamlet gespielt. Den Schatten von Hamlet genauer gesagt. Bin die ganze Zeit hinter dem eigentlichen Hamlet hergegangen und habe ihn imitiert. Nur gesprochen habe ich eben nicht.

Die Rolle scheint bleibende Spuren hinterlassen zu haben, Sprache spielt in Ihren Filmen keine besonders große Rolle.

Das stimmt schon. Ich habe mich immer bemüht, wenige Dialoge zu verwenden. Mein erster Film Ratataplan war beinahe ein Stummfilm, und auch in Die Seifendiebe sind die Gespräche eher banal. Wie in einem Cartoon.

In Ihrem neuen Film „Von Luft und Liebe“ erlauben Sie der Sprache wiederum nur eine Nebenrolle. Geräusche spielen die Hauptrolle.

Es ergab sich aus der inneren Logik der Geschichte. Ich meine, um es halbwegs glaubwürdig erscheinen zu lassen, daß ein Mann eine Zeichentrickfigur wird, muß der Mann im Grunde genommen vorher schon eine Zeichentrickfigur gewesen sein. Deshalb ist der Maurizio in Von Luft und Liebe eben von Beruf Geräuschsynchronisator für Zeichentrickfilme.

Wie autobiographisch ist denn „Von Luft und Liebe“? Haben Sie Probleme mit Frauen?

Natürlich ist der Film auch autobiographisch. Ursprünglich wollte ich nur einen Film über einen Mann machen, der eine Zeichentrickfigur wird. Aber für ein abendfüllendes Werk reicht das natürlich nicht aus. Also war die nächste nicht unwichtige Frage in der Entwicklung der Idee: Warum wird er eine Zeichentrickfigur?

Und dazu fällt Ihnen als erstes eine Liebesgeschichte ein?

Ja, denn in jeder Liebesgeschichte geht es auch um Veränderungen. Daß der Mann in diesem Fall zu einer Zeichentrickfigur wird, ist natürlich ein sehr drastischer Fall.

Und warum akzeptiert die Frau diese Metamorphose?

Die Frau arbeitet, indem sie die Phantasien anderer Männer befriedigt. Durch ihren Beruf ist sie von Männern gelangweilt. Sie will einen Mann, der völlig anders ist als die anderen. Den bekommt sie auch.

Ist das nun absurd? Oder ist das realistisch?

Beides. Ich bemühe mich eigentlich immer, Absurditäten möglichst wirklichkeitsnah zu inszenieren. Ein Beispiel: Ich ziehe Magritte nunmal einem Maler wie Kandinsky vor. Ich bevorzuge surreale Momente in erkennnbarer Verbindung zur Wirklichkeit.

Dann gefällt Ihnen „E.T.“ bestimmt besser als „Star Wars“.

Ja, Star Wars ist nur Phantasie um der Phantasie willen. Das interessiert mich nicht.

Steckt dahinter eine erzieherische Absicht?

Durchaus. Ich möchte, daß sich das Publikum wiedererkennt.

In Ihren Filmen zeichnen Sie meistens für Buch, Regie und Hauptrolle verantwortlich.

Das ist praktischer und vor allem billiger.

Außerdem haben Sie so die maximale Kontrolle über das Ergebnis.

Ja, aber ich glaube, das ist gerade für einen Komiker sehr wichtig. Ein Gag ist nur dann ein Gag, wenn jede Nuance stimmt.

Was unterscheidet Ihre Fernsehfilme von Ihren Kinofilmen?

Im Fernsehen können Sie Alain Delon innerhalb von zehn Minuten einmal als Zwanzigjährigen und einmal als Sechzigjährigen sehen. Mal ist es ein Schwarzweiß-Film, dann Werbung, dann wieder Farbe. Man schaltet ständig um. Deshalb muß man einen Fernsehfilm so konzipieren, daß jeder Zuschauer ihn in fünf Minuten verstehen kann.

Und im Kino kann man ausführlicher sein?

Oh ja! Und im Kino kann man die Realität vergessen. Das Publikum sieht sehr viel konzentrierter zu. Außerdem sitzt es im Dunkeln.

Heißt das, daß man beim Fernsehen die Realität nicht vergessen kann?

Das Fernsehen ist stark an der Realität orientiert. Fernsehen bedeutet, daß man zur gleichen Zeit an beinahe jedem Ort der Welt sein kann.

In den letzten fünf Jahren ist das italienische Publikum dazu übergegangen, sich wieder mehr italienische Filme anzusehen.

Ja, ich schätze, der Anteil einheimischer Produktionen liegt im Moment bei cirka 25Prozent.

Das scheint mir sehr viel. Der Anteil deutscher Filme liegt hierzulande bei ungefähr fünf Prozent.

Ja, aber vor zwanzig Jahren hatte der italienische Film einen Anteil von 70Prozent.

Ist der zeitgenössische italienische Film dann mit einer stilbildenden Bewegung wie dem Neorealismus vergleichbar?

Die neue Generation italienischer Regisseure, Morretti, Marco Risi, der Sohn von Tognazi: wir kennen uns natürlich, aber wir beziehen uns nicht aufeinander. Allerdings arbeitet jeder auf seine Art dafür, daß sich das Kino verändert. Wir haben zwar diese großen Meister des Neorealismus. Aber die sind tot. Alle.

Ich nehme an, daß Ihnen Ihre eigenen Filme gut gefallen. Welche Filme gefallen Ihnen nicht?

Ich mag diese gewalttätigen Filme nicht. Im amerikanischen Fernsehen ist es mir besonders aufgefallen. Dort sieht man jede Menge sadistischer Szenen. Aber wenn jemand nackt durchs Bild läuft, gibt es gleich einen Aufstand.

Sie ziehen Sex und Nacktheit also der Gewalt vor?

Natürlich.

In „Von Luft und Liebe“ stellen Sie das nachhaltig unter Beweis.

Und trotzdem ist der Film auch für Kinder geeignet. Ich habe mich bemüht, die Nacktszenen mit größter Selbstverständlichkeit zu inszenieren.

Mit größter Selbstverständlichkeit und Ironie.

Die seriöseste Art, über die Wirklichkeit zu reden, ist die ironische Art.

Also können Sie sich nicht vorstellen, jemals einen ernsthaften Film zu machen?

Für mich sind Komödien die ernsthaftesten Filme der Welt. Wenn man ein Problem mit einem kleinen Lächeln betrachtet, kommt man der Lösung viel näher.