Experten unter sich

■ betr.: "War die RAF doch nureine Fünfte Kolonne?", taz vom 29.2.92, Buch "Die RAF-STASI-Connection", taz vom 5.3.92

betr.: „War die RAF doch nur eine Fünfte Kolonne?“, taz vom 29.2.92, Buch „Die RAF-STASI- Connection“/Leserbrief der Autoren, taz vom 5.3.92

Es ist ein bemerkenswertes Zeichen von vollendeter Entfremdung — in diesem Fall von der eigenen Urteilsfähigkeit — wenn sich selbsternannte Experten für dieses Thema gegenseitig beharken, und die eine Gruppe sich zu allem auch noch auf den Oberexperten Stefan Aust beruft, ohne kundzutun, woher sie allesamt ihre besonderen Expertenstatus eigentlich beziehen.

Selbst Verfolgungsspezialisten wie Bundesanwaltschaft, Bundeskriminalamt und Verfassungsschutz betonen immer wieder, nichts über die tatsächlichen Strukturen der RAF zu wissen.

Um das zu ändern, prangern sie seit Jahren Menschen, über die ihnen keinerlei Tatsachen bekannt sind, (was sich an den längst Ausgestiegenen bewiesen hat) auf rechtswidrigen Plakaten in der Öffentlichkeit als aktive „Mitglieder“ (Vorsicht Schußwaffen!!) bzw. Täter nach Aktionen an.

Sie basteln an der Legende von der legalen RAF und verwenden sie in konstruierten Prozessen gegen Menschen aus dem Widerstand.

Sie stellen ein seit dem Hungerstreik gegen alle Gefangenen noch immer laufendes Ermittlungsverfahren nach § 129a nicht ein, um einen rechtswidrigen „Dauerfreifahrtschein“ für Zellendurchsuchungen und ständigen Zugriff auch auf die Verteidigerunterlagen, ohne richterlichen Beschluß, in Händen zu behalten. Die Bewertung und entsprechend kommentierte Weitergabe der gefundenen Materialien als „Kassiber“ und „illegales Infosystem“, in das Verteidiger und Angehörige eingebunden seien, ist für die Oberste Anklagebehörde ein selbstverständlicher Teil der Desinformation. Entgegennahme, Abdruck und Ausstrahlung durch die Experten in Presse, Funk und Fernsehen auch.

Sie setzten die Kronzeugenregelung mit Strafrabatt ein, als sie noch nicht einmal Gesetz war und praktizieren sie am ungeeigneten, von ihnen im wahrsten Sinne des Wortes zum Objekt gemachten Menschen zum Nachteil, zum gewollten Nachteil derer, die in den Knästen sitzen. (Jetzt z.B., um ihnen neue Prozesse zu machen!) So ist es wohl der Gipfel einer wertlosen und dennoch ausdrücklich mit Strafrabatt belohnten Kronzeugenaussage, wenn Leute, die sich selbst als Randfiguren der Gruppe bezeichnen, wunschgemäß und unter dem dankbaren Beifall der Staatsschutzgerichte bestätigen, die Todesfälle von Stammheim seien Selbstmorde gewesen. Die inhaltsschwere Bedeutung, die diesen Hörensagengeschichten von BAW und den ihr angeschlossenen Gerichten gegeben wird, zeigt einerseits, was von diesen Institutionen als „Beweis“ eingestuft und belohnt wird und andererseits, wie wichtig ihnen die Entfernung dunkler Flecken von der freiheitlich-demokratisch- rechtsstaatlichen Weste ist. Nicht zuletzt zeigt es auch, daß sie davon überzeugt sind, für die unzähligen Selbstmorde in deutschen Knästen keinerlei Verantwortung zu tragen.

Sie produzieren Kronzeugen, wie Siggi N. in einer Weise, die man fast schon Verzweiflung nennen kann.

Alle staatlichen „Terroristenfahnder“ zeichnen sich dadurch aus, daß sie hauchdünne sogenannte Fakten nach ihren Vorstellungen zurechtzimmern, insbesondere aber auch dadurch, was sie NICHT sagen und in den Kostrukten glatt unterschlagen.

Freiberufliche Rechercheure unterscheiden sich da nur wenig von den institutionellen. Auch sie verknoten lose Fäden nach ihren eigenen Vorstellungen, um das Material griffig zu machen, damit es „gekauft“ wird. Die Quellen sind auch die gleichen — u.a. BAW und VS, die wie schon gesagt, das meiste selbst nicht wissen, zudem beide viel zu verbergen und daher großes Interesse an Propaganda und Desinformation haben.

Und alle suchen nach „Strukturen“, wie sie in ihren eigenen Köpfen, ihren eigenen Lebensvorstellungen fest vorgegeben sind.

Nur nach einem suchen sie alle nicht: nach den Fehlern des Systems und dem daraus resultierenden zunehmenden Widerstand. Sie alle ignorieren die wichtigste Quelle: die Gefangenen und ihre Motive. Sie ignorieren deren Ziele genauso, wie sie die wahren Ziele der Staatsschutzjustiz nicht sehen, begreifen und hinterfragen wollen.

Lieber zählen sie sich zu denen, aus deren Reihen einer ungestraft „Wirtschaftsschmarotzer“ zu den Menschen sagen darf, die aufgrund der Politik u.a. der BRD aus ihrem Land wegen Verelendung des Volkes flüchten müssen.

Wollen die Experten später einmal sagen, sie hätten da nur mitgemacht, ohne jemandem zu schaden? Sie hätten eigentlich auch gar nichts gewußt? Stimmt. Sie wissen wirklich wenig. Aber dann sollten sie auch weniger veröffentlichen. Es geht nämlich u.a. und nicht zuletzt um MENSCHEN. Helga Prauss, Frankfurt/Main