QUERSPALTE
: Mithaftung macht Spaß

■ Bundesrichter steigern durch erhöhtes Risiko den Reiz der Raserei

Also wirklich, Bundesrichter! Das hättet ihr euch doch denken können. Ein Mordsgeschrei wird es geben, einen Volksaufstand der echten Männer. Ihr habt sie aber auch an ihrer allerallerempfindlichsten Stelle getroffen (nein, nicht da!), an der Bleisohle. Außerdem ist das Urteil kurzsichtig und ungerecht. Wer, wenn nicht die Helden der Landstraße, garantiert schließlich den ungehemmten Verkehrsfluß? Doch nicht die Oma da vorn, der Penner da hinten, die mit Tempo 100 über die Autobahn zockeln. Reines Verkehrshindernis, Ärgernis, menschengefährdende Langsamkeit, Brandstifter, Verbrecher! Nur Radfahrer und Fußgänger sind schlimmer. Laßt euch gesagt sein: Anachronistisch, weltfremd, fortschrittsfeindlich seid ihr. Warum wohl wirbt die Autoindustrie für ihre „Freizeitgestaltung auf höchstem Niveau“, sprich Tempo, mit dem Automobil als „schlagstarkem Partner auf allen Plätzen“, also auch auf der Überholspur, und sei es von rechts, mit „Temperament und Technik“? „Pünktlich zum Termin“? Unmöglich ist das mit 130 km/h! Und die Bundesbahn darf — wenn sie kann — 240 km/h. Umweltbewußtsein? Auch da sind Sie, meine Herren, hinter dem Mond. Dafür haben wir schließlich den Kat. Der brettert uns auch mit Tempo 260 im astreinen Natur-Feeling gegen den Massivholz- Chaussee-Baum. Außerdem sind heutzutage auch Autos mit Sechs-Zylinder-Motor „modern, leicht und ökologisch“ wie ein Fruchtjoghurt.

Aber sehen wir es doch mal positiv, Sportsfreunde. Es geht ja schließlich nicht ums liebe Leben, sondern nur um die Mithaftung. Das macht euch stolze Besitzer schneller Schlitten doch erst zu richtigen Männern, zur Elite auf der Autobahn. Ihr dürft als endlich ganz und gar freie Bürger auch das Risiko eures Handelns mittragen. Wer auf seinem Mustang schneller als mit 130 km/h in den Sonnenuntergang reitet und im Krankenhaus wieder aufwacht, hat doch, wenn er es denn wiedererlangt, immerhin das volle Bewußtsein davon, an der vorausgegangenen Bluttat den gebührenden, meßbaren Anteil gehabt zu haben. Viel Feind, viel Ehr, viel Risikobereitschaft! Und manchmal erwischt es ja auch den Richtigen. Vielleicht auch den Verfasser dieses Werbetextes: „Wenn sich die Türen hinter Ihnen schließen, bleibt die Welt wirklich draußen.“ Wenigstens so lange, bis die Unfallrettung mit dem Schneidbrenner durch den Stau gekommen ist. Für den Grabstein empfehlen wir roten Granit, Inschrift dank Bundesgerichtshof kurz und kernig: „Er scheute kein Risiko!“ Und als Begleitmusik „ein sanfter Pedaldruck und der satte Sound von sechs Zylindern“. Heide Platen