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Totgesagter ruft den Totengräber

Li Peng lädt Boris Jelzin zum Staatsbesuch nach China ein/ Rußlands Außenminister Andrei Kozyrew betont Wichtigkeit der Menschenrechte in Peking und drängt auf atomwaffenfreies Nordkorea  ■ Aus Peking Catherine Sampson

Der aus Pekinger Sicht größte Feind des Sozialismus, Rußlands Präsident Boris Jelzin, ist vom chinesischen Ministerpräsidenten Li Peng zu einem Staatsbesuch eingeladen worden. Li Peng, der den russischen Außenminister Andrei Kozyrew zu einem Gespräch empfing, nannte kein Datum für diesen Besuch. Doch wird er unwillkommene Assoziationen an die Reise Gorbatschows nach Peking im Mai 1989 wecken: Damals hießen Hunderttausende chinesischer Studenten den sowjetischen Führer auf dem Pekinger Tiananmen-Platz willkommen; wenige Tage nach seiner Abreise wurde der Kriegszustand verhängt, und am 4. Juni eröffnete die Armee auf dem Platz das Feuer.

So wird Peking diesmal bestrebt sein, keine Demonstrationen zuzulassen. Statt dessen ist aber eine Konfrontation zwischen den Pekinger Altkommunisten und dem Totengräber der Sowjetunion wahrscheinlich. In internen chinesischen Parteidokumenten wird Jelzin für den Niedergang des Sowjetkommunismus verantwortlich gemacht.

Öffentlich stellt die chinesische Führung Vergleiche zwischen der von Wirtschaftskrise und Nationalitätenkonflikten geplagten GUS und dem Konsumgüter- und Lebensmittelreichtum Chinas an, um die Überlegenheit des „chinesischen Sozialismus“ zu beweisen.

Einen möglichen Vorgeschmack auf den Jelzin-Besuch lieferte Außenminister Kozyrew bei seiner Abreise aus Peking. Er sagte, daß er in der sensiblen Menschenrechtsfrage schwere Differenzen mit Peking gehabt habe. „Die chinesischen Behörden“, erklärte er, „hängen an der einst von der Sowjetunion vertretenen Idee, daß Menschenrechte dem Begriff der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten untergeordnet sind. Ich teile diese Meinung nicht und denke, daß Menschenrechte eine besondere Ausnahme von diesem Nichteinmischungsbegriff darstellen.“ Diese Meinungsunterschiede, so der Außenminister weiter, sollten jedoch die russisch-chinesischen Beziehungen nicht beeinträchtigen.

Die beiden Staaten unterzeichneten ein Grenzabkommen, das alte Streitigkeiten um Inseln in den Grenzflüssen Amur und Ussuri beendet. Gestern traf Kozyrew in Südkorea ein, wo er die Wichtigkeit eines atomwaffenfreien Nordkoreas betonte. Weiter soll er einen russisch-südkoreanischen Freundschaftsvertrag vorbereiten. Strittig hierbei ist, ob der Vertrag, wie von Moskau gewünscht und von Seoul mit Rücksicht auf die USA abgelehnt, eine militärische Zusammenarbeit beinhalten soll. Kozyrew wird auch über eine Weiterzahlung eines Kredits in Höhe von drei Milliarden Dollar verhandeln, den Südkorea der ehemaligen Sowjetunion eingeräumt und nach deren Ende storniert hatte. Heute reist er nach Japan weiter.

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