Vollgas in der Tempolimitdebatte

SPD und Grüne/Bündnis 90 wollen heute im Bundestag für Tempolimit streiten/ Autoclub rät Rasern zur Aussageverweigerung/ ABS-Raser im Vorteil/ Deshalb fordern Experten Fahrtenschreiber  ■ Von Hermann-Josef Tenhagen

Berlin (taz) — Kurz vor der heutigen Bundestagsdebatte um die Verkehrspolitik ist die Tempolimitdebatte wieder voll entbrannt. Anlaß ist das neue Urteil des Bundesgerichtshofs, nach dem Fahrer, die auf Autobahnen schneller als 130 rasen und in einen Unfall verwickelt werden, automatisch Mitschuld an Unfällen tragen. Das Urteil läßt den Fahrern nur noch die Möglichkeit zu beweisen, daß der Unfall auch bei einer niedrigeren Geschwindigkeit passiert wäre. „Wer 130 überschreitet, geht solche Gefahren ein und ist dafür verantwortlich“, hatte der Vorsitzende Richter Erich Steffen den Spruch begründet. In Bonn sahen SPD und Bündnis90/ Grüne in dem Urteil eine Bestätigung ihrer Ansicht, daß ein Tempolimit bald kommen müsse. „Die Konsequenz kann eigentlich nur sein, daß man schnellstens zu einem allgemeinen Tempolimit kommt“, sagte der SPD-Verkehrspolitiker Albrecht Müller der taz. Klaus-Dieter Feige von Bündnis 90/ Grüne begrüßte den „Umdenkungsprozeß beim höchsten Gericht“ und kündigte an, bei der heutigen verkehrspolitischen Debatte auf ein Tempolimit zu drängen. Auch die SPD-Verkehrsministerien in Kiel und Hannover begrüßten die Entscheidung. In Hannover meinte der Sprecher des Ministers, Dieter Fischer, daß man mit dem Urteil „dem Ziel eines generellen Tempolimit wieder ein Stück näher gekommen“ sei. Dagegen lehnte der Vorsitzende des Verkehrsausschusses des Bundestages, Dionys Jobst (CSU), ein Tempolimit weiterhin ab.

Die Automobilverbände äußerten sich unterschiedlich: Dieter Wirsich vom ADAC sagte der taz: „Wir kritisieren das Urteil nicht, wir befürworten es nicht.“ Im Grunde sei dies eine konsequente Fortsetzung der Rechtssprechung der vergangenen Jahre. Der ADAC appelliere nach wie vor an alle Autofahrer, „sich konsequent an Tempo 130 zu halten.“ Dagegen reagierte der Automobilclub von Deutschland (AVD) und der Automobilclub Europa (ACE) wie von der Raserlobby zu erwarten mit „großem Unverständnis“. Ein Tempolimit werde durch die Hintertür eingeführt. Die Anschnallpflicht sei damals auf ähnlichem Wege durchgesetzt worden. Der AVD riet allen Rasern unter seinen Mitgliedern zur Aussageverweigerung, „damit sie sich nicht um Kopf und Kragen reden.“ Technisch sei die gefahrene Geschwindigkeit nicht zweifelsfrei zu ermitteln.

Dieses Schlupfloch bestätigte der taz auch der Bochumer Verkehrssachverständige Karl Kircher. Bei Unfällen versuche man immer den Hergang zu rekonstruieren. Neben den Aussagen der Zeugen könne man die Geschwindigkeit mit Hilfe „der Bremsweglänge, der Witterungsbedingungen und an den Schäden, die an den Autos eingetreten sind“ schätzen. Gerade bei höheren Geschwindigkeiten werde es aber regelmäßig schwierig. Insbesondere bei Autos mit Antiblockiersystem (ABS) „haben wir keine Möglichkeit mehr, die Geschwindigkeit exakt zu bestimmen“. Mit anderen Worten, Raser mit teuren Schlitten waren bislang im Vorteil. Polizisten fordern seit einigen Monaten, Autos mit Kurzzeitschreibern auszurüsten, die die Geschwindigkeit zum Zeitpunkt des Unfalls zweifelsfrei anzeigen würden. Mannesmann Kienzle und MBB stehen hier vor der Serienfertigung, so Kircher. Der Experte war sich sicher, daß die Geräte, die heute rund 500 Mark kosten, „irgendwann Vorschrift werden“. Wolfgang Heilmann von der Allianz stellte gegenüber der taz fest, daß auch Raser, die jetzt eine Teilschuld an Verkehrsunfällen tragen müssen, deshalb nicht in ihrer Existenz gefährdet sind. Die Haftpflichtversicherung müsse in jedem Fall zahlen. Für den verurteilten Raser folge nach dem Unfall in der Regel nur eine Erhöhung seiner KFZ-Versicherung und seiner Kasko-Versicherung. Wie heißt es in der Straßenverkehrsordnung so schön: „Der Fahrzeugführer darf nur so schnell fahren, daß er sein Fahrzeug ständig beherrscht. Er hat seine Geschwindigkeit insbesondere den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen sowie seinen persönlichen Fähigkeiten und den Eigenschaften von Fahrzeug und Ladung anzupassen“.