Asyl-Kompromiß kratzt am Grundgesetz

Anhörung des Deutschen Bundestags zur Asyl-Verfahrensbeschleunigung/ Das Gemeinschaftswerk von CDU/CSU und SPD wird regelrecht zerpflückt/ Kritiker von rechts und links einig  ■ Aus Bonn Tissy Bruns

Wenig Gnade für das Gemeinschaftswerk von Regierungsparteien und SPD: Der Entwurf für das Asylverfahrensgesetz wurde bei der Anhörung des Innenausschusses von den Sachverständigen regelrecht auseinandergenommen. Ob das Gesetz die erklärte Absicht, „offensichtlich unbegründete“ Asylanträge schneller abzuwickeln, einlösen kann, wurde von allen Experten bezweifelt. Die Bedenken sind so gravierend, daß der Gang zum Bundesverfassungsgericht wahrscheinlich ist, und deshalb sogar zusätzlicher Zeitaufwand denkbar wird.

Die Einwände der Flüchtlingsverbände und Kirchen zeigten erneut, daß das Asylverfahrensgesetz die Lage der Flüchtlinge rechtlich und sozial dramatisch verschlechtert. Die große Koalition der Gesetzeskritiker war indes höchst unterschiedlich motiviert. Und so hatte die führende Regierungspartei kein Problem, mit dem vernichtenden Urteil umzugehen. Innenminister Rudolf Seiters wiederholte das politische Credo der Union: „Im Grunde bestätigt die Anhörung, daß wir das Problem nur lösen werden mit einer Änderung des Grundgesetzes.“

Walter Koisser, Vertreter des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen, eröffnete die Sachverständigenrunde mit der Forderung, die Genfer Flüchtlingskonvention als rechtliche Anspruchsgrundlage wieder in das Asylverfahren aufzunehmen, denn die Konvention anerkennt auch die subjektive Sicht des Flüchtlings, etwa die „Furcht“ vor Verfolgung. Die Konvention als Grundlage im Asylverfahren sei auch erforderlich für die geplante Harmonisierung des Asylrechts in Europa. „Hier in Europa, wo die humanitären Prinzipien des Asylrechts entwickelt wurden, entscheidet sich, wie künftig weltweit mit Flüchtlingen umgegangen wird, die vor Verfolgung, Gewalt und Unterdrückung fliehen.“

Die Stellungnahmen der Juristen hatten — bei völlig unterschiedlichen Schlußfolgerungen — einen gemeinsamen Tenor: hart an der Grenze oder sogar über die Grenze des rechtlich und verfassungsrechtlich Hinnehmbaren. Die extrem kurze Frist zur ersten Anhörung, der Rechtsmitteleinschränkung, die Einzelrichterentscheidung, die fast polizeilichen Kompetenzen für die Leitung der einzurichtenden Sammellager, eine Oberbehörde mit zahllosen Außenstellen, der Begriff der „Offensichtlichkeit“..., es blieb fast kein Gesetzesparagraph von massivster Kritik verschont. Man werde Verfassungsbeschwerden geradezu provozieren (der Bielefelder Jurist Papier). Der Ansbacher Richter Heribert Schmidt schließlich bekennt, daß er noch keinen einzigen Kollegen gefunden habe, der mit dem Entwurf einverstanden war. Seine Befürchtung: „Wir opfern unser rechtsstaatliches Verfahren.“

Die Menschen, die diese Verfahren aushalten und überstehen müssen, standen für die Flüchtlingsverbände, Hilfsorganisation und Kirchen, die den Entwurf alle zurückwiesen, im Mittelpunkt: sie befürchten, daß gerade die getroffen werden, denen das Gesetz angeblich helfen will. Gerade Folteropfer haben Angst davor, gegenüber Beamten über ihre Erfahrungen zu sprechen und würden mit einer überstürzten Anhörung, auf die sie sich nicht vorbereiten könnten, völlig überfordert. Die Lager seien gerade für diese Menschen eine erhebliche psychische Belastung. Und schließlich: die immer vorgetragene Grundannahme, es kämen hauptsächlich „Wirtschaftsflüchtlinge“ sei falsch.

Die Kritik am Entwurf wurde mit ganz unterschiedlichen Schlußfolgerungen verbunden. Der Münchner Kreisverwaltungsreferent Hans-Peter Uhl will rechtliche Grundlagen, um ganze Gruppen von Flüchtlingen zurückzuweisen. „Das Individualrecht auf Asyl muß geändert werden.“ Denn: „dieser Ansturm kann nicht bewältigt werden.“ Horst Rapp, Regierungspräsidium Stuttgart, bemühte Rauschgifthändler und Gewaltverbrecher, um für die Grundgesetzänderung zu werben. Sollte das „Unikum“, wie Herbert Leuniger von „Pro Asyl“ das Gesetzeswerk nannte, nach dieser Kritik nicht wirklich aus dem Gesetzesverfahren verschwinden? Wenn die Fraktionen und ihre Abgeordneten ihre eigenen Regeln ernst nähmen, bliebe nach dieser Anhörung eigentlich nichts anderes übrig. Doch es wird anders laufen: an den Unionspolitikern tropft die Kritik im Grunde ab, denn sie brauchten das Verfahrensgesetz ohnehin nur, um wieder einmal zu beweisen, daß das Grundgesetz geändert werden muß. Innenminister Seiters wies daraufhin, daß er es der SPD ja gleich gesagt habe: Verfahrensbeschleunigung reicht nicht. Und die SPD, die mit soviel Nachdruck auf dieses Gesetz hingearbeitet hat? Ihre anwesenden Innenpolitiker wollen die Sache weiter betreiben. Herta Däubler-Gmelin, Asyl- und Rechtexpertin in der Fraktionsspitze, fehlte gestern.