Die Buren verlassen ihre Wagenburg

■ Mit dem Ende ihrer Dominanz fürchten viele afrikaanssprachige Weiße Identitätsverlust

Sie häuften sich in letzter Zeit, die Fernsehbilder von den Aufmärschen der Buren in ihren Nazi-ähnlichen Uniformen, bärtig und plump, atavistische, rassistische Parolen skandierend wie: „Südafrika, für dich sterben wir!“ und „Hängt Mandela an den nächsten Baum!“ Südafrikas afrikaanssprachige Weiße am rechtsradikalen Rand sind ein furchterregender Menschenschlag, der uns EuropäerInnen Schauer des Entsetzens über den Rücken jagt. Aber auch „normalere“ VertreterInnen jenes „Stammes der Afrikaaner“, wie sie sich selbst bezeichnen, erinnern uns an hiesige düstere Zeiten. Hitler wurde besiegt, die afrikaanssprachigen weißen Herrenmenschen Südafrikas jedoch nie — weder von den Zulus, noch von anderen afrikanischen Stämmen, die sich ihnen seit ihrer Ankunft am Kap vor 300 Jahren in den Weg stellten. Und erst recht nicht von den verhaßten britischen „Kolonialherren“. Die rückten den kleinen Bauern nicht nur mit ihrem Liberalismus — in dessen Namen sie 1833 die Sklavenbefreiung weltweit forderten —, sondern auch mit ihrem Kapitalismus zu Leibe. Der Konflikt zwischen den von den Briten oft als „weiße Kaffern“ bezeichneten armen Buren und dem englischsprachigen urbanen Kapital mündete um die Jahrhundertwende im „Bruderkrieg“. Spannungen gibt es bis heute, gelten die Englischsprachigen doch gemeinhin als liberaler.

Über Jahrhunderte speiste die burische Gemeinde ihr Selbstbild aus der immergleichen Quelle: dem alten Testament. Dort steht: „Sollt Ihr alle Einwohner vertreiben von Eurem Angesicht und alle ihre Säulen zerstören, daß ihr also das Land einnehmet und darin wohnet, denn Euch habe ich das Land gegeben, daß ihr's einnehmet!“ (4. Moses, 33). Und: „Willst Du aber leibeigene Knechte und Mägde haben, so sollst Du sie kaufen von den Heiden, die um Euch sind.“ (3. Moses, 25). Kulturelle Identität schöpfte man einzig aus dem Glauben, Gottes auserwähltes Volk zu sein und gegen den Rest der Welt kämpfen zu müssen. Das „Lager“ und die „Wagenburg“ wurden zu Metaphern ihrer Existenz — des ewigen Kampfes. Man floh vor den Briten und vertrieb die Schwarzen. Freiheit konnte nur heißen, nicht mit anderen teilen zu müssen, ja, das Recht zu haben, den Anderen, den Schwarzen, zu beherrschen. Man stürzte sich mehr und mehr in eine Symbolik des Krieges: Blut und Eisen, Leben oder Tod, wir oder sie, alles oder nichts. Sozialpsychologisch hat dies suizidale Züge, gesellschaftspolitisch führte es zum einzigen, verfassungsrechtlich verankerten Rassismus der Welt: der 1948 zur Staatsreligion erhobenen Apartheid, die die UNO als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ geißelte.

Die Umsetzung der Apartheid in ein staatliches und gesellschaftliches Konzept wurde mit manischer Akribie betrieben, alle Lebenswelten wie mit der Rasierklinge getrennt, um die Privilegien der zuvor Unterprivilegierten zu wahren: von der Post über die Kinos, Schulen, Parks, bis hin zu den Blindenvereinen oder Blutkonserven. Man muß um die politische Mythologie der Apartheid wissen, muß diese Geschichte der Buren kennen, um zu begreifen, wie einschneidend der Reformkurs de Klerks war und wie überwältigend das Ergebnis der Volksabstimmung ist.

Kann aber Wahnsinn zu Vernunft werden? Erste Versuche in diese Richtung gab es schon in den sechziger Jahren mit Beyers Naudé, Pfarrer der „Nederduitse Gereformeerde Kerk“. Verzweifelt haben sich auch afrikaanssprachige Schriftsteller wie Breyten Breytenbach, André Brink oder J.M. Coetzee am burischen Monolithen abgearbeitet. Sie blieben eine Minderheit. Dennoch hat die Moderne die burische Seele gestreift: Mitte der achtziger Jahre gab es ein erstes, bahnbrechendes Treffen zwischen liberalen Buren und ANC-Vertretern im senegalesischen Dakar. Seither öffnete sich die Tür einen Spaltbreit zum gleichberechtigten Dialog. Vielen burischen Intellektuellen ist klar, daß die Hauptangst „ihrer Leute“ ist, sie könnten mit dem Ende ihrer politischen Dominanz auch ihre kulturelle Identität verlieren. Auch ökonomische Ängste vor einer Gleichstellung mit schwarzen Konkurrenten sind real. Mit der gestrigen Abstimmung aber hat sich zumindest das Bild der „Wagenburg“ gewandelt: Sie könnte sich zum Boot wandeln, in dem in Zukunft alle sitzen. Andrea Seibel