Offener Brief am Minister Riesenhuber

■ Wissenschaftler der Bundesrepublik fordern, aus Prestigeprojekten auszusteigen

Sehr geehrter Herr Minister!

Mit großer Erleichterung haben die Unterzeichnenden zur Kenntnis genommen, daß eine endgültige Entscheidung über die Fortführung des europäischen Programms zur bemannten Raumfahrt erst in rund einem Jahr fallen soll, mit Erleichterung deshalb, weil dadurch die Gelegenheit geboten wird, die Auswirkungen des Programms in seiner jetzigen Planung auf die deutsche Forschung insgesamt noch einmal zu überdenken.

Im Zusammenhang mit den finanziellen Anstrengungen zur Unterstützung der neuen Bundesländer hat nicht nur der Bund, sondern haben auch die Länder deutliche Einsparungen im Bereich der Forschungsförderung vorgenommen. Diese Einsparungen treffen ganz besonders die Grundlagenforschung. Der Etat der Deutschen Forschungsgemeinschaft (BMFT) ist weitgehend eingefroren worden. Neue, auch bei sehr kritischer Betrachtung vorzüglich geplante Sonderforschungsbereiche können nicht oder nur nach sehr langer Wartezeit genehmigt werden, die Gründung von Schwerpunktprogrammen und Forschergruppen muß über mehrere Monate ausgesetzt werden, und im Bereich der Normalverfahren der DFG ist die Finanzdecke so dünn geworden, daß die Ablehnungsquote eine sinnvolle Grenze zu übersteigen droht.

Für viele Bereiche werden durch das BMFT geförderte Programme im Bereich der Grundlagenforschung gestrichen oder trotz früherer Zusagen nicht installiert oder verlängert.

Diese Situation beruht nur zu einem sehr geringen Teil auf vermehrter Auftragstellung aus den Forschungseinrichtungen und Universitäten der neuen Bundesländer. Man kann im Gegenteil davon ausgehen, daß sich die jetzige forschungsgefährdende Situation in dem Maße noch weiter zuspitzt, wie der erwünschte Konsolidierungsprozeß der forschenden Institutionen in den neuen Bundesländern verstärkt einsetzt, da dann der Bedarf an Forschungsförderung noch erheblich zunehmen wird.

Für die Universitäten entwickelt sich diese Situation zu alledem noch vor dem Hintergrund zunehmender Studentenzahlen und – im Bereich der Medizin – zunehmender medizinischer Dienstleistungsaufgaben.

Wir sind der Ansicht, daß angesichts dieser Situation die Großprojekte „Hermes“ und „Columbus“ storniert oder zugunsten eines breiter international gesteuerten, erheblich kostengünstigeren Finanzierungsprogramms zur bemannten Raumfahrt verlassen werden sollten. Im Unterschied zu vielen unbemannten Raumfahrt-Projekten, die hohe wissenschaftliche Bedeutung haben, handelt es sich bei dem geplanten europäischen Programm zur bemannten Raumfahrt zu einem erheblichen Teil um Prestige-Projekte, deren wissenschaftliche Ergebnisse (verglichen mit den Möglichkeiten der unbemannten Raumfahrt) in keinem sinnvollen Verhältnis zu den sehr hohen und offensichtlich auch ständig steigenden Kosten stehen. Der vielfach beschworene „spin-off“ für die deutsche Industrie ist gering, und die direkte finanzielle Förderung der firmeneigenen Forschungen im Hinblick auf die Entwicklung neuer Produkte mit Sicherheit erheblich billiger und effektiver, wie unter anderem das Beispiel Japan zeigt.

Uns ist bekannt, daß der bundesrepublikanische Finanzierungsbeitrag nur zum Teil aus dem Etat des Bundesministeriums für Forschung und Technologie stammt. Dennoch appellieren wir an Sie als das für die Projekte in erster Linie zuständige Regierungsmitglied, sich dafür einzusetzen, daß

1.auf eine Beteiligung der Bundesrepublik zumnindest an den Projekten „Hermes“ und „Columbus“ verzichtet wird.

2.der Etat der Deutschen Forschungsgemeinschaft erheblich aufgestockt wird.

–Wir sind der Meinung, daß eine erhebliche Anhebung des Etats der Deutschen Forschungsgemeinschaft am ehesten eine effektive Förderung der Grundlagenforschung bewirkt, da bei Vergabe von Mitteln durch die DFG ein besonders kritisches Begutachtungsverfahren vorgeschaltet ist.

3.die Bundesländer stärker bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben hinsichtlich der Forschung an Hochschulen unterstützt werden.

–Die Bundesländer werden durch die immer noch steigende Zahl von Studierenden zu außerordentlichen finanziellen Anstrengungen im Hochschulbereich gezwungen. Diese betreffen aber in erster Linie die Lehre. Im Bereich der Ersatzbeschaffung wissenschaftlicher Geräte, der Bereitstellung von Graduiertenstellen für die Forschung, der länderanteiligen Förderung des Hochschulausbaus im Forschungsbereich haben die Länder fast keinen finanziellen Handlungsspielraum mehr. Von Bund und Ländern geplante Forschungsförderungsprogramme wie zum Beispiel die Förderung von „Klinischen Forschergruppen“ scheitern häufig an der aus der Finanznot resultierenden fehlenden Bereitschaft der Länder, erfolgreiche Gruppen nach Abschluß des Förderungsprogramms in den Landesetat zu übernehmen. Berufungen orientieren sich zunehmend daran, wie „billig“ ein/e Bewerber/in ist und weniger daran, wieviel er/sie zur kritischen wissenschaftlichen Masse einer Hochschule beiträgt.

Wir betrachten es als eine Frage der Phantasie der verantwortlichen Politiker, Wege zu finden, wie Einsparungen im Bundeshaushalt im Gefolge eines Verzichtes auf Beteiligung von „Hermes“ und „Columbus“ so zu einer Entlastung der Länderhaushalte beitragen können, daß die „Kulturhoheit“ der Länder nicht verletzt, die Möglichkeiten zur Erfüllung der oben genannten Länderaufgaben aber verbessert werden. Gerade weil wir die Notwendigkeit von Einsparungen im Hinblick auf die mit der Wiedervereinigung gestellten Aufgaben sehen, protestieren wir mit allem Nachdruck gegen die Verwendung von Milliardenbeträgen für die europäischen Prestigeprojekte im Bereich der bemannten Raumfahrt.

Die gegenüber den ursprünglichen Ansätzen zu erwartenden Kostensteigerungen bei den Projekten „Hermes“ und „Columbus“ sind so hoch, daß der Verzicht auf eine deutsche Beteiligung ohne Verletzung geltender Verträge möglich ist.

Mit freundlichem Gruß

Unterzeichnet haben u.a.: Prof. Kudritzki, Direktor des Instituts für Astronomie und Astrophysik, Universität München; Prof. Kneer, Leiter der Sternwarte Universität Göttingen; Prof. Hillebrandt, Vorsitzender der Astronomischen Gesellschaft; Prof. Kochsiek, Direktor der Medizinischen Universitätsklinik Würzburg, ehemaliger Vorsitzender des Wissenschaftsrates; Prof. Kern, Institut für Zytobiologie und Zytopathologie, Universität Marburg, ehemaliges Mitglied des Wissenschaftsrates; Prof. Thauer, Max-Planck-Institut für Terrestrische Mikrobiologie Marburg, ehemaliger Vizepräsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft; Prof. Gerok, Direktor der Medizinischen Universitätsklinik Freiburg, ehemaliger Vizepräsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft.