Die Schotten dicht

Bernhard Härtter im Kunstraum München  ■ von Jochen Becker

Als wären die siebziger Jahre nie vergangen, hängen die Wände im langgestreckten Flur des Münchner Kunstraums voller sich selbst ähnelnder Plättchen. Was zuerst wie serielle Minimal Art scheint, ist in Wahrheit eine Sammlung unzähliger Unikate, die jeweils auf kleinen Holzkeilen leicht schräg gegen die Wand lehnen. Auf den weißglänzenden und quadratischen Kacheln prangen in der Mitte bunte und zielscheibenartige Farbkreise, als hätte jemand Mutters Emailleofen ausgepackt. Doch die Kacheln sind gar keine, sondern glänzend lakkierte Hartfasertäfelchen, auf denen Farbkleckse zu konzentrischen Kreisen verlaufen.

Detailfreudiges Werkeln einerseits, die Irritation übereilter Wahrnehmung andererseits sind Kennzeichen der Arbeiten von Bernhard Härtter. Der Bruch des ersten Augenscheins fordert vom Besucher Sensibilität. Im Unterschied zu den Minimalisten, die das Mechanistische und Anonyme der Massenfabrikation schätzten, wendet sich Härtter dem handwerklichen und Persönlichen zu. Während die serielle Kunst abstrakt wirkt, haben Härtters einzeln gefertigte Kreise den human touch; wenn auch sicher unbeabsichtigt stellen die pfauenaugenartigen Farbpunkte einen Blickkontakt mit dem Betrachter her.

Härtter benutzt Materialien, bei denen die Spuren seines bastelnden Eingriffs sichtbar bleiben; die Liebe zum Detail soll den Besucher erfreuen. Die Funktion der Dinge des täglichen Lebens, die er in seine Kunst integriert, wird durch die Einarbeitung aufgehoben. In einem Behältnis aus unregelmäßig gebrochenen und aufgeschichteten Scheiben sind Aschenbecher, Mineralwasserflaschen oder ein Hase aus Glas verborgen, verwahrt, dem Gebrauch entzogen. Und aus zeitlos-formschönen Tassen kann man nicht trinken, da sie statt einer Flüssigkeit einen entsprechenden Platzhalter aus Glas aufgenommen haben.

Bernhard Härtter ist mit gerade 30 Jahren ein Shooting Star der Kunstbranche: 1988 der Preis des vom Verkehrsministerium ausgeschriebenen Wettbewerbs „Kunst an der Straße“, Förderpreis der Wirtschaft am Oberrhein, 1991 Preis des Forschungsministeriums für seinen Beitrag zur „Kunst an der Transrapidbahn“ und, ebenfalls letztes Jahr, vom Bund Deutscher Industrie geladener Teilnehmer zur „Kunst für Industriebrachen“ im Ruhrgebiet. Sein Straßen-Kunst-Modell „Massivhaus“ fand Aufnahme in die Sammlung des Frankfurter Museums für moderne Kunst, und der Katalog zur Retrospektive in München wurde aus dem Förderprogramm „Kataloge für junge Künstler“ der Essener Krupp-Stiftung finanziert.

Härtters Sprödigkeit zwischen Kunst und Handwerk, die Nichteinmischung trotz Beteiligung zahlt sich aus. „Nicht der Sinn oder Unsinn von Umgehungsstraßen wird also hinterfragt, sondern das Realitätsverständnis des Betrachters“, kommentiert Martina Fuchs wohlwollend den prämierten Entwurf Härtters für eine Skulptur im Kreisel der Kreuzung B31/B3 bei Freiburg. Im Klartext heißt das doch: Die Kunst sensibilisiert für ästhetische Betrachtungen ihrer selbst und kompensiert den tristen Alltag da draußen. Härtters spielerisches Vorgehen funktioniert im abgeschotteten Rahmen eines Kunst- Raums; Berührungspunkte mit der schnöden Realität außerhalb werden vermieden oder vorrangig formal gelöst.

Härtters Aktion „Lidschlag“, bei der er 1989 die Fensterscheiben eines Wohnhauses mit Aluminiumblechen verblendet hatte, ist aus Sicht der Passanten Kunst im öffentlichen — also eigentlich kunstfernen — Raum. Demgegenüber wandelt Härtter aus seiner Sicht die Öffentlichkeit zum Kunstraum, indem er die Arbeit im Atelier auf der seinem Arbeitsplatz direkt gegenüberliegenden Häuserfront fortsetzt. Die im Blickfeld befindlichen, abgedeckten Fenster stehen im ästhetischen Zusammenhang zur Umgestaltung seines Privatzimmers als Kunstinstallation oder der Verbauung des Blicks vom Atelier nach draußen mittels Keilrahmen. Statt von einer Plastik im öffentlichen Raum könnte man also genausogut von einer erweiterten Ateliersituation sprechen, die am Draußen nur soweit Interesse zeigt, als daß es zufällig vor der Haustür liegt.

Noch bis zum 18.April, Kunstraum München