: Ein Bollwerk gegen Fluten und Demokratie
Chinas Ministerpräsident Li Peng will einen gigantischen Jangtse-Staudamm durchsetzen/ Entscheidung noch in diesem Monat ■ Aus Peking Catherine Sampson
An den Ufern des Yangtse blicken mehr als eine Million Menschen der heute beginnenden jährlichen Sitzung des chinesischen „Nationalen Volkskongresses“ mit besonderem Interesse entgegen: Das chinesische Parlament soll in den kommenden zwei Wochen darüber entscheiden, ob sie ihre Häuser und ihr Land unter einer Sintflut verlieren.
Vor 35 Jahren träumte der Große Vorsitzende Mao in einem Gedicht von einem Damm, um endlich den unbändigen Jangtse-Fluß zu zähmen. An den berühmten „Drei Schluchten“ sollte der größte Staudamm der Welt entstehen und dazu beitragen, daß die regelmäßigen Überschwemmungen am Unterlauf des Flusses verhindert werden. Immer wieder kamen durch die Fluten Tausende von Menschen ums Leben — 33.000 im Jahre 1954.
Jahrzehntelange Kontroversen haben seither verhindert, daß das Projekt in Angriff genommen wird. Doch jetzt wird erwartet, daß der Volkskongreß dem Drei-Schluchten-Staudammprojekt seine Zustimmung gibt.
Die „Drei Schluchten“ gelten als einer der schönsten Landschaftsmerkmale Chinas. Wenn der Fluß hier zu einem See wird — ist es dann noch dasselbe? Chinesische und kanadische Ingenieure haben zwar die ökologischen Bedenken in Machbarkeitsstudien zu zerstreuen versucht, doch Umweltgruppen fragen ihrerseits, ob der Damm tatsächlich das Flutrisiko mindern würde.
Die Gegner des Dammes sagen die Überflutung der Häuser von einer Million Menschen voraus, die dann umgesiedelt werden müssen, und erwarten massive Umweltprobleme und sogar Erdbeben. Ein Journalist hat Zweifel daran geäußert, ob die von den fruchtbaren Schwemmgebieten umzusiedelnden Bauern ebenso gutes Land erhalten würden. „Es besteht die Gefahr und das Risiko“, schrieb er in der Tageszeitung 'China Daily‘, „daß, wenn die Umsiedlung vorgenommen wird, das Neuland weniger gut sein wird als in den Versuchsprogrammen, und dies wird auf jeden Fall Probleme mit sich bringen.“
Außerdem, so die Kritiker, sei das Projekt mit veranschlagten Kosten von rund 20 Milliarden Mark einfach zu teuer. Es wird sogar befürchtet, daß die Kosten innerhalb der auf 18 Jahre veranschlagten Bauzeit um das Vierfache steigen könnten. „Es gibt so viele Sachen, für die das Geld eher ausgegeben werden sollte“, sagt einer der Hauptgegner des Staudammes im Volkskongreß, Ma Dayu, „zum Beispiel das Bildungswesen.“ Selbst im Militär gibt es Sorge, daß der Staudamm ein ideales Kriegsziel darstellen könnte.
Als das Projekt zuletzt im Jahre 1989 dem Volkskongreß vorlag, zeigten sich die Delegierten so widerstrebend, daß es zeitweise auf Eis gelegt wurde. Angesichts des weniger offenen politischen Klimas, das den Volkskongreß seither wieder in seine traditionelle Rolle eines Akklamationsorgans zurückgedrängt hat, ist eine solch offene Opposition diesmal nicht zu erwarten. Dennoch wird das Projekt wohl der kontroverseste Tagesordnungspunkt der diesjährigen Sitzung sein, in der ansonsten nur farblose Gesetzesinitiativen zum Schutz der Frauenrechte und zu den Gewerkschaften verabschiedet werden sollen.
Um gegen das Gewerkschaftsgesetz zu demonstrieren, das den Klammergriff der Partei über die Arbeiterorganisationen verstärken wird, hat der ehemalige politische Gefangene Han Dongfang bei den Behörden um Genehmigung für eine Kundgebung vor der Großen Halle des Volkes, wo der „Volkskongreß“ tagt, nachgesucht. Während der Demonstrationen von 1989 gründete Han Dongfang die erste unabhängige Gewerkschaft der Volksrepublik China. Danach kam er ins Gefängnis, wurde aber aus gesundheitlichen Gründen wieder freigelassen. Daß sein Demonstrationsersuchen jetzt abgelehnt wird, ist so gut wie sicher.
Insgesamt wird der Volkskongreß sein Bestes tun, um das seit 1989 gepflegte Bild von Einheit und Stabilität der Partei trotz des gegenwärtig heftigen Machtkampfes zwischen Hardlinern und Reformern zu erhalten. Erstmalig hat Ministerpräsident Li Peng seine übliche Pressekonferenz abgesagt, die Journalisten die einzige Chance im Jahr bietet, ihn zu befragen. Ein Sprecher des Volkskongresses beschränkte sich auf die Erklärung, die Abhaltung der Pressekonferenz sei unnötig. Doch wird vermutet, Li Peng wolle sich keinen Fragen über seine möglicherweise angeschlagene Machtposition stellen.
Der ehemalige Parteiführer Deng Xiaoping nämlich, der jüngst aus seinem Ruhestand heraus die radikale Wirtschaftsreform zurück auf die Tagesordnung setzte, soll Li Peng für zu konservativ halten. So wird Li wohl heute, wenn er vor dem Volkskongreß seinen Rechenschaftsbericht verliest, seine reformerischen Qualitäten hervorheben.
Li Peng gilt auch als einer der eifrigsten Förderer des Jangtse-Staudammprojektes. Der Ministerpräsident und der Staudamm, so sagt man, stehen und fallen zusamen. Sollte sich Li Peng tatsächlich in ernstlichen politischen Schwierigkeiten befinden, wird sein Lieblingsprojekt im „Volkskongreß“ ebenfalls wenig vorankommen.
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