Nix wie weg?

■ Zum Reisen an sich: Unterwegs sein und am Deutschen verzweifeln

Einen Strand sehen und auf einmal die Welt begreifen. Auf einem Berg stehen und zur Existentialistin werden. Durch ein Dorf schlendern und nie wieder durch zugeparkte Straßenschluchten gehen wollen. Durch New Yorks zugeparkte Straßenschluchten gehen und nie wieder Berlins Straßenschluchten schön finden können. Mit Portugiesinnen und Mexikanern reden und an den Deutschen verzweifeln. Reisen.

„Hey, an der Bucht war ich letztes Jahr auch! Toll, nicht? „ Oh Göttin, bitte nicht. Das Meer, das da in einem einzigen weißen Gischtwirbel auf das Land zurast, die Wellen, von denen ich mir die Kontrolle über mich habe nehmen lassen, der Platz oben auf dem Felsen, von wo aus frau (mit ein bißchen Phantasie) direkt nach Brasilien sehen kann, der einziehende Herbst — das alles gehört den Menschen, die hier leben, und mir — und sonst niemandem. Unmöglich, daß das noch jemand erlebt hat. Und unmöglich eigentlich, davon zu erzählen.

Doch ist das nicht Sinn der Sache? Nach dem Zurückkommen mit klingende Namen wie Yucatan, Sierra Estrela oder Polynesien um sich werfen zu können? „Der Reisende ist nur der Stellvertreter der Daheimgebliebenen“, das hat einmal ein Weltreisender gesagt. Es sind zwar nicht gerade die, die für vier Wochen nach Teneriffa fliegen, die neben „Hals- und Beinbruch“, einer gehörigen Portion Neid und dem verschämten „Das würde ich mich nie trauen“-Geständnis die gesammelten, projizierten Wünsche der Daheimgebliebenen mit auf den Weg bekommen, aber alles über sechs Wochen und 3.000 Kilometern ist schon Anlaß genug. Wenn jemand aus dem Freundskreis eine solche Reise tut, ist das wie Fernsehen: Man muß es eigentlich nicht mehr selber machen. Auch, wenn man anschließend nach allen Schilderungen doch nur hört: „Das muß man selber mal erlebt haben.“

Von Bierseligkeit und Birkenstock eingeholt

Muß man nicht. Denn um das wirkliche er-leben geht es nicht. Es reicht, für seinen Jahresurlaub auch einen möglichst wohlklingenden Namen angeben zu können. Denn der moderne Mensch reist. Schon mal das gedehnte „Ach, du fährst in den bayerischen Wald — Gott, ja, ist eigentlich auch ganz schön...“ erlebt? Und so schwärmen sie aus in alle Welt, die Heerscharen von Touristen, die man besser gar nicht erst über die Grenze gelassen hätte. Die, die überall das gleiche erleben wollen. Die, die sich wieder auf ihr eigenes Bett freuen. Die, die nicht mit offenen Augen, sondern nur mit der Linse ihrer Kamera das Fremde sehen.

Schon mal irgendwo Ami-Touristen getroffen? Wieder mal so ein Beispiel, wo mensch einfach keinen Grund hat, auch nur eines seiner Vorurteile abzulegen. Trotzdem, so fürchterlich und schräg sie auch sein mögen, es hat immer noch etwas Witziges und ist eben — anders. Im Gegensatz zu den Landsleuten, die noch in jedem verlassenen Winkel zu hocken scheinen.

Und warum dieser absolute Widerwillen, sie zu treffen? Weil dann womöglich das Weglaufen vor dem, mit dem man in diesem Land nicht klarkommt, so schwer fällt? Weil man immer wieder eingeholt wird von Weißwurst und „Du, das macht mich betroffen...“, von Bierseligkeit und Birkenstock?

Ich hab' die ganze Welt gesehen... Oft genug sind die, die „unterwegs“ sind, reine Traveller- Hetzer, die nirgends Ruhe finden können. Doch warum will man überhaupt, egal ob zu Hause oder unterwegs, immer woanders sein, als man gerade ist? Wahrscheinlich, weil man im Leben immer das haben will, was man gerade nicht hat... Susanne Kaiser