Zeit für Öffnung der politischen Kultur

■ Die Ampel benötigt dringend den öffentlichen Diskurs

Für die Beurteilung von Ampel- Resultaten sind 100 Tage zu kurz bemessen. Aber die politische Kultur des Stadtstaates könnte eine Öffnung schon jetzt spüren lassen. Wesentlich für die Wahlniederlage der SPD war der Mief, der über deren Politik lag: der Filz kungelte, kümmerte sich nicht um Diskurs, Fantasie und Glaubwürdigkeit. Schon die Tatsache einer Koalition - rot-grün oder auch Ampel - verhieß da eine Alternative: daß Schwierigkeiten und Streitpunkte der Senatspolitik wenn schon nicht immer zufriedenstellend gelöst, so doch offengelegt würden.

Zaghafte Ansätze ökologisch- sozialer Politik zeigen sich seither - was Hemelinger Marsch, Verminderung der ABM-Katastrophe, Ökotonne, Sondermüllabgabe u. ä. angeht. Aber hat sich eine Öffnung der politischen Kultur, des Stils, in dem Politik gemacht wird, angedeutet? Bei den Grünen, bei der SPD? Unterscheidet sich, wie Grobecker in den Chefsessel der Landesbank gehoben wird, vom Gehabten? Wie einem grünen Spitzenbeamten der Makel der Doppelverdienstes weggeredet wird?

Die neuen Amtsträger können sich ohne gezielte Personalpolitik in den etablierten Strukturen und Routinen nicht geltend machen. Sie finden keine Zeit, sich neben den „Inhalten“ noch dem „Stil“ der Politik zu widmen. Sie stehen immer unter Entscheidungsdruck, von öffentlichem politischem Diskurs zu sprechen mutet da wie Luxus an. Kompetente Gesprächs- und Streitpartner, die politischen Funktionsträgern etwas zu bieten hätten, stehen nicht einfach zur Verfügung, weil - bekannter Teufelskreis! - sie nicht über die Informationen der Politiker verfügen usw. usf...

Diese - und andere - Gründe gibt es. Sich mit ihnen abzufinden, wäre aber für PolitikerInnen, die ökologisch-soziale Erneuerung anstreben, tödlich: für die Grünen wie für Sozialdemokraten, die auf Alternativen zur Parteibuchkultur setzen. Werden sie von ihrer Rolle aufgesogen, so werden sie bestenfalls als „besser“, nicht aber als „anders“ als gewohnte Politiker wahrgenommen. Bei den Grünen wirft dies Probleme mit der Partei-, vor allem mit der Wählerbasis auf. Solche würden sich nicht erst bei der nächsten Wahl, sondern bereits im Erfolg der Tagespolitik bemerkbar machen.

Es ist also Zeit, sich über Ansatzpunkte einer Öffnung der politischen Kultur der Bremer Ampel Gedanken zu machen.

-Wie den Teufelskreis durchbrechen, der politische Funktionäre immer auf sich selbst verweist? Diese müssen zugleich Kompetenz von außen erhalten und (dazu) Kompetenz nach außen vermitteln. Dafür wäre qualifizierte Ehrenamtlichkeit im politischen Tagesgeschäft zu verankern. Müssen nur Senatsmitglieder in Aufsichtsräten z. B. der Stadtwerke sitzen, können sie sich nicht bemühen, Energiekundige von außen hinzuzuziehen?

-Beiräte, Beauftragte haben Konjunktur, auch in der Koalitionsvereinbarung; im Umwelt- und Kulturbereich läuft dergleichen an. Diese Formen von Repräsentation sollten nicht bloße Lobbys von InteressentInnen werden. Wie wär‘s, wenn sie zu Bausteinen eines Bremer Demokratielabors entwickelt würden, das öffentliche Diskurse anzettelt - z. B. zwischen Anbietern und Nachfragern kultureller, pädagogischer Dienstleistungen, zwischen den Geschlechtern und Generationen, zwischen ProduzentInnen und KonsumentInnen, EinwohnerInnen verschiedener Stadtteile und Szenen?

-Bremen ist, realistisch betrachtet, derzeit ohne Opposition. Dies ist ein hoher kultureller Preis der Ampel. Werden Parteien und Bürgerschaftsfraktionen ihn zum Anlaß nehmen, sich im Verhältnis zu den Amtsträgern weniger als Mehrheitsbeschaffer und Legitimierer, sondern als Träger eines öffentlichen Diskurses in wohlwollender Unabhängigkeit zu verhalten?

-PolitikerInnen neigen dazu, Erfolge, Lösungen in den Vordergrund zu stellen, aber Mißerfolge, ungelöste Probleme für sich zu behalten. Dies schürt bei am Gemeinwesen Interessierten Skepsis, weil sie Erfolgsbilanzen nicht trauen, und Apathie, weil sie keine Chance politischer Beteiligung sehen. Warum nicht offener (auch) von Mißerfolgen und ungelösten Problemen sprechen?

-Bis zur Wahl klebte der „liebe Klaus“ überall, jetzt ist er wieder weg. Kann man/frau sich auch nach einer Wahl Politiker „zum Anfassen“ vorstellen? Können sich beteiligungsorientierte SenatorInnen den Vorschlag von H. Spitzley zu eigen machen, eine Stunde in der Woche wirklich für BürgerInnen „zu sprechen“ zu sein?

Ulrich Müggenberger