Die Post räumt ihre Ämter für Banken

■ Bis zur Jahresmitte werden neunzehn Postämter in Ost-Berlin schließen/ Der Grund dafür ist angebliche Überversorgung Vor allem ältere Menschen sind darüber empört, weil sie nun weite Wege fahren müssen, um ihre Rente abzuholen

Berlin. Die Post will in den neuen Ländern »ihr Leistungsangebot und ihren Service ausweiten« — so jedenfalls steht es in der Broschüre von 1991 Die Post verbindet geschrieben. Im Moment ist sie allerdings gerade dabei, einen großen Graben zwischen sich und ihre neuen Kunden zu ziehen. Die Post wird nämlich bis zur Jahresmitte weitere dreizehn Ämter in Ost-Berlin dichtmachen. Neunzehn werden es dann seit Anfang des Jahres sein.

Die betroffenen Bürger sind empört, fühlen sie sich doch einmal mehr von westlichen Versprechungen verschaukelt. »Wie soll ich denn dann meine Rente abholen?« fragt eine ältere Frau, die sich vor dem Postamt 2 in der Friedrichsfelder Volkradstraße mit zwei anderen Rentnerinnen über die drohende Schließung aufregt. Alle drei haben mit ihren Unterschriften bereits die gemeinsame Protestaktion zweier Bürgervereine und der Postgewerkschaft unterstützt.

Die meisten der über 1.500 gesammelten Protestbekundungen stammen von älteren Menschen, wie die Schriftzüge auf den Listen verraten. Denn allein in unmittelbarer Nähe des Friedrichsfelder Postamtes 2 gibt es zwei große Altersheime. Besonders ältere Menschen sind von Schließungen nahgelegener Postämter betroffen, weil sie Jahrzehnte lang an ihr Postamt gewöhnt, vor allem aber weil sie nicht so mobil sind.

»Zum Postamt 3 in der Dolgenseestraße — dorthin sollen wir ausweichen — fährt gar kein Bus. Und zum Hinlaufen ist es für mich zu weit«, beschreibt eine Frau das Dilemma. Die Rentnerin berichtet auch von anderen, für die selbst eine Busfahrt zu beschwerlich wäre. »Außerdem«, erzählt eine Angestellte des Postamtes, »nutzen die alten Leute die Telefone im Inneren des Postgebäudes. Sie selber haben ja oft noch keins.« Arnim Koldzik, Vorsitzender des Bürgervereins »An der Hans-Loch- Straße«, hat Mühe, die Strategie der Post nachzuvollziehen: »Das sind doch ökonomische Dilettanten«, regt er sich auf. »Einerseits sagt die Oberpostdirektion, daß sie die Postämter aus wirtschaftlichen Gründen schließen muß, andererseits machen sie mit dem Amt in der Volkradstraße das bestbesuchte in Friedrichsfelde dicht. Dieses Amt führt die meisten Postgirokonten und liegt zudem ganz zentral in Friedrichsfelde.«

Bislang hat sich die Post jedoch von keinem Protest bewegen lassen. Einzig in Prenzlauer Berg wurde Ende letzten Jahres ein Postamt doch nicht geschlossen. Aber nicht die aufgebrachten Bürger waren ausschlaggebend für diese Entscheidung, sondern technische Einwände der Telekom.

Auf Anfrage argumentiert die Post mit der »Angleichung an Westniveau«. Es habe eine Überprüfung der Postämter in ganz Berlin stattgefunden, so Claudia Haß, Pressesprecherin der Oberpostdirektion. Herausgekommen sei eine Überversorgung der Bevölkerung in Ost-Berlin. Mit 105 Ämtern auf 1,2 Millionen Einwohner und einer Fläche von 403 Quadratkilometern liegen sie weitaus näher beieinander als die im Westen (120 Ämter für 2,1 Millionen Bürger auf 485 Quadratkilometern Fläche). »Wir wollen, daß jeder in zwei Kilometer Entfernung (Luftlinie) ein Postamt erreichen kann.«

Zu DDR-Zeiten waren deshalb so viele Ämter nötig gewesen, weil es keinen Paketzustelldienst gegeben hat und sonst die Wege für die Kunden zu lang gewesen wären. Seit Anfang des Jahres sei nun, so Haß, der Paketdienst in Ost-Berlin eingeführt. Abgesehen von den steigenden Mieten sei dies ein Grund mehr für die Schließung der Postämter, die nur in Ausnahmefällen Eigentum der Post sind. Von einer »Minderung der Lebensqualität« spricht PDS-Abgeordneter Peter-Rudolf Zotl. Er hatte im Abgeordnetenhaus eine mündliche Anfrage gestellt, weil er von erheblichen Unruhen in der Ostberliner Bevölkerung gehört hatte. Von den Schließungen sind nämlich auch Postämter in sogenannten »Dienstleistungswürfeln« betroffen, »den einzig ebenerdigen und somit behindertengerechten«, so Zotl. Außerdem liegen diese Würfel in Neubaugebieten und versorgen in der Regel mehrere tausend Menschen — wie die Ämter in der Gensler- und in der Wittenberger Straße.

Obwohl es die Post bisher verneint, könnte auch das Friedrichsfelder Ausweichamt in der Dolgenseestraße von einer Schließung betroffen sein. Davon geht Arnim Koldzik mittlerweile aus. Denn alle Würfel stehen laut Treuhand kurz vor dem Verkauf, und was die neuen Eigner damit vorhaben, ist nicht bekannt. »Dann werden die Friedrichsfelder total unterversorgt sein«, fürchtet er.

Aber auch die Angestellten der zu schließenden Postämter sind beunruhigt. »Zwar sollen sie nicht entlassen, sondern nur umverteilt werden, aber das ist wohl nur eine Frage der Zeit«, sagt Bernd Lindenau von der Postgewerkschaft. Er kann auch nicht nachvollziehen, daß die Post aus Erfahrungen in Westdeutschland nicht gelernt hat. »Wenn dort Postämter geschlossen wurden, haben sich statt dessen einfach Banken angesiedelt, und der Post gingen wertvolle Kunden verloren.« Arnim Koldzik ist bereits dabei, Banken anzuschreiben. Er will sie bitten, in der Volkradstraße eine Filiale zu eröffnen und die ehemaligen Postkunden zu übernehmen. »Dann hat die Post ihre Verluste.« Sonja Striegl