Lichtstärkenmesser in der Öde

■ Arbeiten von Norbert Schwontkowski in der Galerie am Pariser Platz

Der Pariser Platz, einst erste Adresse für die Honoratioren Berlins, liegt heute in einer Art Niemandsland. Wo ehedem Preußens Glorie strahlte, läßt sich gegenwärtig Geschichte mit den Händen greifen. Als eines der letzten Überbleibsel der früheren Platzbebauung steht das Haus mit der Nummer 4 frei hinter einer zerzausten Baumgruppe, dicht am ehemaligen Grenzstreifen. Das Gebäude hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich. 1737 für Meyer Ries, den »Schutzjuden« und Beschaffer der »langen Kerls« des Soldatenkönigs Friedrich WilhelmI., errichtet, wurde es mehrfach umgebaut und 1905 der damaligen Königlichen Akademie der Künste übergeben. Nach dem Ersten Weltkrieg zeigte man dort Ausstellungen der herausragenden Vertreter der klassischen Moderne — eine Entwicklung, die 1933 abrupt endete. 1942 siedelte Albert Speer in das an den Garten von Hitlers Reichskanzlei grenzende Palais über und gestaltete es von Grund auf um.

Nach dem Krieg fiel das Anwesen, oder was noch von ihm übriggeblieben war, aufs neue der Akademie zu. Ursprünglich sollte der Ausstellungsbetrieb wiederaufgenommen werden. Doch der Hauptsitz der Akademie war, anstatt das Stammhaus um die Ruine herum aufzubauen, an den Robert-Koch-Platz verlegt worden. Die Ausstellungen fanden nun dort statt. Das Gebäude Pariser Platz 4 bezog der von Wien nach Berlin zurückgekehrte Bildhauer Fritz Cremer — der Erbauer des Buchenwald-Denkmals — als Atelier. Seit den Zeiten des auch unter der neuen DDR-Führung streitbaren Cremer behielt es seine Funktion als Atelierhaus. Hinzu kamen zwei Druckerwerkstätten, eine für Hoch-, die andere für Tiefdruckverfahren.

Der Fortbestand des Hauses war aber von jeher gefährdet. Bereits kurz nach dem Krieg konnte es nur durch die Initiative einer Persönlichkeit wie Cremer vor dem Abbruch bewahrt werden. 1972 hätte ein Sturmschaden an dem provisorischen Holzdach beinahe das Ende bedeutet. Erst im Januar 89 waren die Abrißpläne vermeintlich endgültig vom Tisch. Im März 90 kam dann die Wende. Seitdem kämpft eine Gruppe von Akademieangehörigen um den Erhalt des Gebäudes, das sie weiterhin als Atelier-, Ausstellungs- und Werkstattraum genutzt sehen wollen.

Heute präsentiert sich das wieder zum Schauraum umfunktionierte Großatelier Cremers in einem pitoresk-desolaten Zustand. Notdürftig mit einem niedrigen, rundum verglasten Eingangskabuff versehen, ist hier der Sitz der »Galerie am Pariser Platz 4«. Von den Wänden des überdimensioniert hohen Raumes, der von einem riesigen Oberlicht beleuchtet wird, bröckelt der Putz. Großflächige Stockflecken zeugen von anhaltenden Wassereinbrüchen. Die elektrischen Leitungen liegen offen und ergeben, zusammen mit den rechteckigen Verteilerkästen, einen fast graphischen Gesamteindruck.

Kunst hat es schwer, sich in einer so faszinierenden Umgebung zur Geltung zu bringen. Der Ausstellungsraum bedeutet zweifellos eine Herausforderung. Gegen diese Atmosphäre konkurrieren derzeit Arbeiten des in Berlin und Bremen lebenden Künstlers Norbert Schwontkowski. Er zeigt eine Auswahl aus den verschiedensten künstlerischen Genres.

Auf einem Tisch stehen fünf bauchige, mit einer milchigen Flüssigkeit gefüllte Flaschen, in die von oben durch den Flaschenhals Dias hineinprojiziert werden. Die Arbeit Lichtstärkenmesser ist namensgebend für die gesamte Ausstellung, aber auch — abgesehen von zwei unvermittelt an der Wand angebrachten schwarz spiegelnden Kunststoffplatten — die einzige Installation von Schwontkowski. Den überwiegenden Teil der Schau nehmen seine Gemälde ein, wobei der Künstler die unterschiedlichsten Ideen aufgreift: Manchmal läßt er einfach das verwendete Material visuell wirken oder streut fetthaltigen Staub auf Papier, auf dem sich dann unkontrolliert Ölflecken abzeichnen. Andere Bilder scheinen in ihrer Motivik aus halbrealistischen Traumsequenzen zu stammen. Der sprachlichen Ebene begegnet Schwontkowski kritisch, indem er Buchstaben oder ganze Worte in seine Gemälde integriert und so deren Sinn zur Disposition stellt. Eine Ausstellung, die ein bißchen unentschieden zwischen privater Mystik und allgemeingültigem Konzept schwankt. Eins aber ist sicher: der Besuch lohnt sich schon allein wegen des Hauses im Niemandsland am Brandenburger Tor. Ulrich Clewing

Galerie am Pariser Platz, Pariser Platz 4, geöffnet täglich 10-18 Uhr, bis 27. März.