Was nicht in der taz stand, steht hier

■ Unveröffentlichte Werke eines Zeilengeldknechtes: ABM-Stellen, Sternennebel und die Bitternis ausfallender Honorare

Der Tagesablauf eines Autors ist streng reglementiert: Mittags aufstehen, Schleim abhusten, Zigarette rauchen, Aspirin in Whisky auflösen und runterspülen, anziehen, ein Kaffeehaus aufsuchen, Eier mit Speck frühstücken, dazu eine große Kanne Kaffee in sich hineinschütten, Zeitung lesen, diverse Drogen schnüffeln/schlucken/rauchen, palavern, Abenteuer aufsuchen, Frauen vernaschen, letzte Zigarette rauchen, misanthropisch grinsen — einschlafen.

All das kostet Kraft, und ich bin immer sehr ungehalten, wenn mich meine Redakteurin auf Storys hetzt, die keine sind. So wie an einem Dienstag nachmittag. Ich sollte im Bezirk Mitte eine Initiative aufsuchen, die Alternativbetriebe berät. Ich treffe auf eine ziemlich verstörte Frau, die sich hinter einem Berg von Papieren versteckt. Es sind Adressenlisten von staatlichen, halbstaatlichen und privaten Initiativen, die Alternativbetriebe beraten können. Ich möchte aber von ihr beraten werden, von diesem zappeligen Wesen mit nervösem Blick. Nein, sie habe keine Ahnung von alternativen Betrieben, aber eine halbwegs sichere ABM-Stelle. Das sind Augenblicke, in denen Magengeschwüre entstehen. Ich verabschiede mich freundlich, beglückwünsche mich zu meinem westfälischem Naturell und eile in den Kreuzberger »Wasserturm«.

Dort soll eine Lesung junger Autoren stattfinden. Schon vor der Tür werde ich abgefangen. Die Lesung finde nicht statt, sagt ein junger Mann, der »Wasserturm« habe geschlossen. »Aber die Ankündigung in den Zeitungen ...«, protestiere ich. Ja, das sei traurig, nickt der junge Mann, er habe schon einige Gäste wegschicken müssen. Wo wären Sie nach solch einem Tag hingegangen? Sehen Sie — genau da habe ich die Nacht durchzecht.

Einen anderen mißlungenen Abend verbrachte ich im Zeiss-Planetarium. »Kosmische Katastropen — das ist doch etwas für Dich«, lächelte meine Redakteurin und hatte mich schon überzeugt. Ich gebe zu, ich bin nicht mehr ganz nüchtern, als ich mich in einen der gemütlichen Sessel des Planetariums fletze. Die Rückenlehne des Sessels gibt nach — ich liege unter einem riesigen Sternenhimmel. Mein Herz pocht; Star Wars, Raumschiff Orion und die Enterprise ziehen an mir vorbei, Captain Kirk amüsiert sich mit einer sechsarmigen Schönheit vom Sterne Nymphos, ein grünes Etwas kocht Spaghetti, und Spock tanzt den Spacepunk. Die monotone Stimme eines Oberschlauen zerrt mich in die Gegenwart zurück. Der Mann zeigt Dias! Blöde, abgelutschte, arschlangweilige Schwarzweiß-Dias! Schematische Darstellungen von Kastor und den Plejaden, dem Gamma Arietis, M36, dem Chi im Perseus, jede Menge Krebs-, Orion- und Andromedanebel; die ganze Marterstrecke vom Capella bis zum Sirius wird abgehandelt, den Hyaden und Algol. Ich soll in einer Stunde das ellenlange undurchschaubare Gewirr von kosmischen Nebeln und Sternhaufen enträtseln — ist denn der Mann noch zu retten?

Da steht mitten im Planetarium ein monströses, hochtechnisches Gerät, eine riesige Hantel mit einer Unzahl von Spiegeln, optischem Firlefanz und bunten Lämpchen, auf dessen skurril verschachtelte Form ein Steven Spielberg stolz wäre, und dieser Mann zeigt Dias!

Außerdem glaube ich ihm kein Wort. Wo er Pulsare, Schwarze Löcher und ferne Galaxien zu sehen glaubt, sehe ich Tennisbälle, Schraubenzieher und fliegende Spiegeleier. Da kommt bei mir keine Katastrophenstimmung auf, sondern Mitleid, besonders wenn ich an die armen kleinen Schüler denke, die sich gegen diesen Quatsch nicht wehren können, sonst gibt's in Erdkunde eine 6. Ich bitte den Herrn vom Planetarium um eine Kopie des Vortrages, ich will die Lügen schriftlich haben — doch eine Kopie ist nicht zu bekommen. Eine Broschüre? Ein Buch? Abzüge dieser infamen, frech konstruierten Dias?

Nein, natürlich ist rein »zufällig« der Mann verschwunden, der im Planetarium für den Vertrieb pseudokosmischer Devotionalien zuständig ist. So ist es mir unmöglich, auch nur einen Beweis zu sichern, der diese Lügenshow entlarvt. Wie etwa einen der kleinen Stein- und Eisensplitter, die aus dem Weltraum stammen sollen. Pah! Weltraum! Gerade wir in Berlin wissen, wie dieser miese Trick abläuft. Wir können tagtäglich zwielichtige Typen beobachten, die sogenannte »original Mauersteine« an depperte Touristen verkaufen. Nicht mit mir!

Am nächsten Morgen erscheine ich ohne Text in der Redaktion, und die Augen meiner Redakteurin verraten mir, daß es wieder kein Ausfallhonorar geben wird. Dann eben nicht. Werner