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: Ratten im Roten Rathaus

Ratten im Roten Rathaus

Wenn der Satz stimmt, daß sinkende Schiffe zuerst von den Ratten verlassen werden, dann muß sich der Senat einstweilen keine Sorgen machen. Es war Emmi Neumer, die Sekretärin von Senatssprecher Dieter Flämig, die am Mittwoch als erste eines der langschwänzigen Nagetiere in ihrem Dienstzimmer im Roten Rathaus entdeckte. Sie identifizierte es als »Rattenbaby« und fütterte es unerschrocken mit Keksen.

Inzwischen kommen der tierlieben Sekretärin allerdings Zweifel, ob sie bei der Artenbestimmung richtig lag. »Vielleicht«, so Neumer, »war es gar keine Ratte, sondern eine Maus.«

Innensenator Dieter Heckelmann nagt unterdessen am Koalitionsklima. Der parteilose Senator, der jetzt seinen Beitritt zur CDU angekündigt hat, zog in der letzten Senatssitzung den Zorn von SPD-Wirtschaftssenator Norbert Meisner auf sich. Weil Heckelmann wiederholt öffentlich eine Einschränkung des Asylrechts verlangt hatte, formulierte Meisner ein Ultimatum. Wenn die CDU im Bezirkswahlkampf mit diesem Thema Stimmung mache, dann — so zischte Meisner zu Eberhard Diepgen herüber — »lassen wir die Koalition platzen«. Diepgen hörte es und versprach Mäßigung.

Einige Strategen der Opposition beginnen schon damit, für die Zeit nach der Großen Koalition zu planen, so der grüne Abgeordnete Wolfgang Wieland mit seinem Plädoyer für eine Ampelkoalition. Weil Wieland diese internen Planspiele am Sonntag auch der taz erläuterte, erregte er den Zorn eines Untergebenen. Fraktionssprecher Stefan Noé beschimpfte seinen Abgeordneten, er möge doch »zum Urologen gehen«, wenn er »das Wasser nicht halten« könne. Vielleicht läßt sich Noé durch ein Geschenk seines SPD-Kollegen Yorck Kaempfer versöhnen: ein hinter Glas gerahmtes Foto der Noestreet in San Francisco, die Kaempfer kürzlich auf einer USA- Reise entdeckt hatte. Der SPD-Sprecher sieht das Foto nicht nur als »aktuellen Beitrag zur Straßennamendiskussion«, sondern auch als Stütze des »Geltungsdrangs«, für den Noé bekannt ist.

Die Liberalen blicken unterdessen mit Bangen auf den 2. April. Da steht nämlich die Beisetzung von Wilhelmine Schirmer-Pröscher an. Die im Alter von 102 Jahren verstorbene LDPD-Mitbegründerin war nicht nur das älteste FDP-Mitglied Deutschlands, sondern auch bis 1990 Alterspräsidentin der Volkskammer. Diese Vergangenheit stört die FDP nicht, wohl aber ein Wunsch im Testament der Verstorbenen: der ehemalige LDPD-Chef Manfred Gerlach möge am Grabe reden.

Kaum ein Freidemokrat möchte sich dort gerne neben Gerlach fotografieren lassen. FDP-Chefin Carola von Braun konnte sich schon erfolgreich drücken: Sie hat einen wichtigeren Termin. Andere Liberale hoffen, Gerlach werde durch Krankheit verhindert sein. Doch der Ex-Parteichef macht ihnen allen einen Strich durch die Rechnung. »Ich werde auf jeden Fall sprechen«, sagt er, »und wenn ich die Operation im Krankenhaus verschieben muß.«Hans-Martin Tillack