Weg mit den alten Hüten

■ Der schwäbisch-kreuzbergische Alternativtüftler Jürgen Baum, Gründer der Firma "Komadesign", setzt auf schrille Hutkreationen. In seiner Schneiderei auf Bali betreibt der Ex-Hippie alternativ abgemilderte...

Der schwäbisch-kreuzbergische Alternativtüftler Jürgen Baum, Gründer der Firma „Komadesign“, setzt auf schrille Hutkreationen. In seiner Schneiderei auf Bali betreibt der Ex-Hippie alternativ abgemilderte Ausbeutung. UTE SCHEUB hat in seinem Berliner Lager rumgestöbert.

N

eue Hüte braucht das Land. Jetzt, wo das Ozonloch wächst. Das glaubt jedenfalls Jürgen Baum, 35jähriger Kreuzberger aus dem süddeutschen Waiblingen. Und er hat Erfolg damit. Vor rund drei Jahren fing er an, Hutmodelle zu entwerfen, inzwischen ist er mit seiner Firma „Komadesign“ in ganz Europa im Geschäft. „Ich habe die Branche revolutioniert, die anderen haben doch alle keine Ideen“, verkündet er stolz und führt das Modell „Ozonmütze“ mit extragroßem Schirm und das schiefgewickelte Modell „Pisa“ vor. Auch die beiden herausragenden Tendenzen in seinem Leben, fröhliches Hippietum und knallhartes Geschäftemachen, hat er damit unter einen Hut gebracht.

„Die Hutbranche ist doch völlig überaltert“

Frechbunte Ballonmützen aus Samt, durchsichtige Regenhüte aus Plastik, extravagante Damenhütchen, baumkuchenförmige Kopfbedeckungen oder in phallischem Gebimmel endende Gartenhüte — der schwäbische Hutdesigner kann siebzig verschiedene Modelle in 2.000 verschiedenen Ausführungen liefern. Er und seine drei Festangestellten müssen bloß in das Warenlager greifen, das sich in der eher schäbigen Kreuzberger Hinterhofwohnung einer ehemaligen WG ausbreitet. Hüte haben inzwischen die Wohngenossen verdrängt, nur Jürgen Baum blieb übrig. Jetzt sitzt er in der gelb gestrichenen Küche, aber was heißt schon sitzen. Immer wieder springt er auf, holt Kaffee, rennt zum Telefon, lacht heftig, kommt zurück, lacht wieder, gib Gas, ich will Spaß.

Und: Nieder mit den alten Hüten. „Die Hutbranche ist doch eine völlig überalterte Branche“, befindet er. „Lauter Familienbetriebe. Seit fünfzig Jahren produzieren sie dieselben Modelle, da muß doch endlich mal ein Schlußstrich her.“ Bitte was? Ein seltsames Wort in der Modebranche. Aber Jürgen Baum hat selbst in seinem Leben einen Schlußstrich gezogen, mit seinem „erzreaktionären“ Elternhaus wollte er irgendwann nichts mehr zu tun haben. Der angehende Bankkaufmann schmiß seine Lehre hin, ging weg, so weit wie möglich: nach Indien. Er wollte „gammeln“, und er wollte „Fun“. Ein halbes Jahr Indien, ein halbes Jahr Berliner Flohmarkt, das wechselte sich beständig ab. Sein erster großer Verkaufserfolg waren selbstgemachte Lederarmbänder, Silber auf Schwarz, es folgten Accessoires und Hemden und Hüte und die Idee mit dem „Movement Against Boring People“. Dieses harmlos-hinterhältige Etikett klebte Jürgen Baum, der „Hasser langweiliger Leute“, nämlich in seine Flohmarkt-Mützen. Die waren schon sein Problem, die Langweiler, ansonsten aber nahm er dankbar mit, daß Touristen sein Gammlerleben finanzierten.

„Gschäftlemache“ mit geizigem Puritanismus

Irgendwie verrät sie sich doch immer wieder, die süddeutsche Mentalität, auch bei einem indischen Hippie. Daß er „ein schwäbischer Tüftler in Alternativausgabe“ sei, gibt er gern zu: Basteln, Erfinden, Werkeln, Kleben, all das macht ihm Riesenspaß, und, ganz wichtig und ebenfalls urschwäbisch: Sammeln und Wiederverwenden, samt dem geseufzten Bekenntnis: „Ich verwerte alles, ich kann halt nix wegschmeißen.“ (Dieser Satz erklärt übrigens auch den überdurchschnittlich großen Erfolg der Grünen im konservativen Ländle.) Aber das „Gschäftlemache“ ist ebenfalls eine im Schwabenland weit verbreitete Eigenart, und sie verbindet sich dort wie kaum irgendwo sonst mit geizigem knochentrockenem Puritanismus. Auch Jürgen Baum, der inzwischen Tausende von Mark im Monat verdient, kennt für sich selbst „kaum materielle Bedürfnisse, ich hab nicht mal einen Kassettenrekorder“. Man glaubt es ihm sofort, wie er da in seinem alten grauen Pullover in seiner alten abgeschabten Küche sitzt. Wenn sein lautes Lachen und seine großen Fingerringe nicht wären, man könnte ihn immer noch für einen kleinen erfolgsarmen Bankkaufmann halten.

„Bei Lafayettes lieg' ich im Schaufenster“

Hut ab vor dem Erfolgreichen, heißt indes die Parole der neunziger Jahre. Der Hutmacher mit den ausgefransten blonden Haaren, der im letzten Jahr aus diversen Gründen fast pleite war, nun aber seinen jährlichen Umsatz auf eine Million Mark schätzt, will jetzt ein eigenes Vertretersystem aufbauen. Obwohl er auch jetzt schon, wie er selbstbewußt berichtet, Hüte „in ganz Europa, den USA, Australien und Japan“ verkauft, „und in den französischen Galeries Lafayettes lieg ich im Schaufenster — 'ne noblere Reklame ist kaum vorstellbar“. Die meisten Hüte verdealt er jedoch in der Schweiz, Österreich und Bayern und natürlich in den Berliner Boutiquen und Märkten. „50.000 Hüte verkaufe ich derzeit jährlich“, sagt er, „auf 100.000 Hüte und zwei Millionen Umsatz will ich noch kommen, und dann ist Schluß. Irgendwann mache ich den Absprung, wenn ich jemand finde, der meine Firma managt.“ Früher, klagt er, habe er ein „schöneres Leben“ gehabt, „ich hab Discos gemietet und Parties veranstaltet, ich hab ein Theaterstück angefangen und mir eine Farblehre des Kochens ausgedacht, ach, alles mögliche. Und jetzt muß ich zwölf Stunden am Tag managen. Es langt grad mal noch zu fünf Wochen Goa im halben Jahr.“ Aber, und da lacht er schon wieder heftig: „Wenn die Leute nicht so begeistert wären von meinem Design, hätt' ich das alles längst hingeschmissen. Auf den Messen, da ist mein Stand immer voll, auch wenn die anderen leer sind. Und auf den Berliner Märkten haben wir eine affengeile Show, alle Touristen knipsen und filmen sich gegenseitig mit meinen Hüten auf dem Kopf, das ist besser als vor'm Brandenburger Tor. Also, ich habe eine blendende Zukunft.“ Hippieyuppieyeah.

Bali „soll voll auf Öko umgestellt werden“

Auch dank seiner balinesischen Arbeiter. Chris, sein Partner aus Sumatra, leitet dort die Schneiderei, in der die Baumschen Baumkuchenhüte hergestellt werden. „Ich schicke nur meine Modellzeichnungen runter, und die zwanzig Leute dort setzen das um“, inzwischen gehe das völlig problemlos. Umgerechnet etwa 90Pfennig verdiene ein Schneider an einer Mütze, weitere 90Pfennig stecke sein Partner ein, berichtet der Jungunternehmer freimütig. Er selbst müsse dann allerlei Transport- und Importkosten bezahlen und verkaufe das Ding für vielleicht 38Mark an einen Großhändler, und eine Boutique oder ein Warenhaus lege es dann für 70 oder 90Mark ins Schaufenster. Der balinesische Produzent bekommt also gerade mal ein Hundertstel des Endpreises? „Die Schneider verdienen bei uns zwischen 200 und 600Mark, und die Frauen, die aufpassen, 150Mark“, rechnet Jürgen Baum vor. „Das ist viel mehr als andernorts, und deswegen bleiben die Leute auch. Der Mindestlohn in Bali beträgt 1,30Mark pro Tag, viele kommen damit nicht mal auf 50Mark monatlich. Außerdem bezahlen wir auch, wenn unsere Arbeiter mal krank sind.“

Ist das nicht ein neuer alter Hut, die alternativ abgemilderte Ausbeutung — nun auch noch mit dem ökologischen Touch? In den nächsten zwei Jahren nämlich, so hat sich der Hutdesigner vorgenommen, soll die balinesische Produktion „voll auf Öko umgestellt werden“, mit ungebleichter Baumwolle und Naturfarben und Naturfilz. Ansonsten aber ist er nicht mehr so ganz zufrieden mit den Verhältnissen auf Bali: „Viele Wollstoffe gibt es dort nicht, die hinken dem Markt hinterher. Aber ich bin doch avantgardistisch und kann hier nicht mit altbackenen Stoffen ankommen.“ Deswegen überlegt sich der geschäftstüchtige Schwabe nun, ob er sich demnächst mal in der ehemaligen DDR, in Polen und in der CSFR umschaut: „Dann werd' ich halt auch dort produzieren. Bisher bin ich ja konkurrenzlos hier, auch wenn mich alle jetzt nachmachen wollen. Ich hab' mit Lederarmbändern auf den Flohmärkten angefangen, bis sie alle Lederarmbänder verkauft haben. Dann hab' ich mit Hüten weitergemacht, bis sie alle Hüte verkauft haben.“