■ BENETTON: Reklame mit Bildern von Leben und Tod: Panik bei der Wirtschaft
Produktnamen haben in einer Welt, die ein bestimmtes Maß wenn nicht von Selbstbestimmung, so doch von „Wahl“ ermöglicht, die Rolle von Anbauschränken und Ersatzteilen des Imaginären. Das Auto, Allegorie des befreiten und omnipotenten Körpers, gehört zu den mächtigsten Fetischen der industriellen Welt. Blue Jeans haben die weitgehende Identifikation mit dem Massenprodukt, das auf den universalen Leib geschnitten ist, vorangetrieben.
Der Benetton-Konzern steht für eine Generation, die früh süchtig geworden ist nach der Identifikation mit dem angeeigneten Namen, dem „Label“. Schulkinder machen sich heiß mit der Frage, ob es Benetton, Lacoste oder Boss sein muß. Natürlich sind die Produkte von Benetton dabei nicht mehr als guter Durchschnitt.
Mit Internationalität und Verständigung zu werben, ist keine Selbstverständlichkeit. Benetton ist schon ein paar Jahre dabei und mit der Nase immer ganz vorn, Piraten im Unbekannten, die mit einer Drehung des Kopfes die Konturen am Horizont deuten können und können müssen. Schwarze und weiße Menschen, zum Beispiel, als besonders und besonders schön zu zeigen, war Kern ihrer bisher größten internationalen Kampagne. Sehr unterschiedliche Proteste in verschiedenen Ländern haben gezeigt, daß die Klientel eines internationalen Konzerns sehr wohl nationale Besonderheiten hat. Benetton hat die Würdigungen und Preise (der Werbeindustrie) einerseits und die Tadel und Abmahnungen andererseits effektvoll genutzt, um sich im Umfeld der Werbung selbst ein Metaereignis zu schaffen: die Berichterstattung über die Kampagnen und ihre Folgen.
In einem enggestrickten System von Labels und angeeigneten Namen sind Werbestrategien von enormer Wirkung auf das Imaginäre von Individuen und Gruppen. Deshalb ist es nicht unmoralisch, von Werbung zu sprechen und darüber zu berichten, die Namen der Firmen und Macher zu nennen, wie man die Namen von Ländern oder Popstars nennt, wenn man sie und nichts anderes als sie meint. Allerdings hat die Werbung, als Gegenstand der Reflexion, versucht, den Status einer „Kunst“ einzunehmen: Das ist sie nicht. Sie bleibt angewandte Kunst, eine begrenzte Kreation im Dienste nicht einer eigenen, sondern einer anderen Sache; kalkuliert, bestellt, gemacht, bezahlt.
Dennoch hat Benettons Art Director Toscani mit seiner jüngsten Kampagne einen empfindlichen Nerv getroffen, vor allem in der angeblich so coolen Branche selbst. Es galt bisher als Konsens, daß Werbung in irgendeiner Form an illusionäre Vorstellungen appelliert, Defizite höchstens anspricht (Unfallfolgen, Akne, Kopfschmerzen), um deren Überwindung durch das Produkt anzupreisen. Indem Benetton nun — mit Ausnahme des Firmenlogos, ergänzt um den Slogan „United Colors of...“ — auf Nachrichtenfotos zurückgreift, attackiert der Konzern das Selbstbild der Medien, die sich aus der Spaltung von Kommerz und „echtem Leben“, gekauftem Platz und, in der Nische des Gekauften, mehr oder weniger frei agierenden Redaktionen definieren.
Aber der Verstoß geht darüber hinaus. Benetton hat die Chance der Auflösung historischer Bezüge, den Einbruch des Unkalkulierbaren durch nationale Kriege und Aids genutzt, um die Gewalt menschlicher Ereignisse, von der Geburt über Massenflucht bis zum Massengrab vorzuführen. Natürlich ist die Begründung Toscanis, er zeige die Welt wie sie sei, dämliche Camouflage. Tatsache ist, daß in diesen Bildern gezeigt wird, was definitiv nicht sein soll; und was definitiv unausweichlich ist, der Tod.
Was daran so verstörend ist, ist schwer zu begreifen. Es sind nicht die Bilder, die neu sind, sondern ihr Gebrauch. Daß es aber gerade die deutsche Werbewirtschaft ist, die unter dem Vorwand des „unlauteren Wettbewerbs“ Benettons Kampagne gerichtlich stoppen läßt, kann schon als Warnung vor der Gültigkeit der Einwände gelten. Die flüchtenden Albaner und die schauerlich dahinschwindenden Kranken, Militärterror in Afrika und Mafiawillkür in Italien sind diesen hochmoralischen Klägern nämlich völlig gleichgültig.
Was man in dem Angriff auf den Taktierer Benetton vielmehr sehen kann, ist die Angst der Wirtschaft, das Gewinninteresse als nacktes Ding, schreiend und blutverschmiert offenbar werden zu lassen. Daß man mit dem Neugeborenen wirbt, irritiert die Werbewirtschaft, die sich in seichten Träumen eingebildeter Sachzwänge schaukelt. Nicht am verklemmten erotischen Schwulst der Rum&Cola-Reklame wird Anstoß genommen, nicht an den latenten Machoappellen der Autoindustrie, die den Tod mit dem Argument des Überlebens (der „Airbag“ für den Mann am Steuer) verkauft. Der Tod soll der Tod der anderen sein und bleiben. Benetton kann und will uns auch nicht schützen vor dem Übel der Welt; aber ein juristischer Sieg über den Konzern käme einer Zensur gleich, die auf Verdrängung gebaut ist.
REKLAMEMITBILDERNVONLEBENUNDTOD:PANIKBEIDERWIRTSCHAFT
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen