Ferien im senegalesischen Dorf

■ In der Casamance können Reisende den afrikanichen Alltag erleben. Integrierter Tourismus soll die ländliche Entwicklung fördern

In der Casamance können Reisende

den afrikanischen Alltag erleben.

Integrierter Tourismus soll die

ländliche Entwicklung fördern.

VONBETTINAKAPS

Anfangs wollte der Dorfrat keine Touristen nach Elinkine locken. Die Männer befürchteten einen schlechten Einfluß auf die Jugend und die Dorfgemeinschaft. Doch die Frauen waren für das Experiment und setzten sich durch. Nachdem sie den Platz am Rand des Dorfes gerodet hatten, packten auch die Männer zu und bauten sechs Hütten. In Elinkine, 55 Kilometer von Ziguinchor, der Hauptstadt der Casamance, entfernt, wurde 1974 das erste „Campement Villageois“ eröffnet und der „integrierte ländliche Tourismus“ ins Leben gerufen. Acht weitere Dörfer in der Casamance und eines an der Petite Côte sind dem Beispiel inzwischen gefolgt und haben ebenfalls Gästehäuser errichtet.

Für Senegalreisende gibt es seither eine Alternative zum organisierten Urlaub, wie ihn der „Club Méditerranée“ und der deutsche Neckermann-Club „Aldiana“ anbieten. Was dort fehlt, steht beim integrierten Tourismus im Mittelpunkt: der afrikanische Alltag. Zudem bieten die Campements die Möglichkeit, im sonst sehr teuren Senegal äußerst preiswert Urlaub zu machen. Die Feriendörfer werden nicht von europäischen Managern mit senegalesischen Angestellten betrieben, sondern von den Dorfbewohnern in eigener Regie geführt. Lediglich zu Beginn des Projekts erhielten sie Hilfe von außen. Da der integrierte Tourismus die ländliche Entwicklung fördern soll, wurden die verhältnismäßig geringen Investitionskosten von rund 12.000 bis 15.000 Mark je Campement von verschiedenen Entwicklungshilfeorganisationen übernommen.

In Elinkine hat der Dorfrat Lamine Thiaw beauftragt, das Campement zu leiten. Lamine betrachtet es als „Ehre und Verpflichtung“, daß er ausgewählt wurde, diese Arbeit für die Gemeinschaft zu übernehmen. Er empfängt die Neuankömmlinge und zeigt ihnen ihre Zimmer. Die Gäste schlafen in strohgedeckten Lehmhütten, die den Häusern der Einheimischen ähneln. Sobald es dämmert, verteilt Lamine Petroleumlampen, denn in den Dörfern gibt es keinen Strom. Damit sich die Touristen in den afrikanischen Dörfern wohl fühlen, wurden europäische Bedürfnisse bei der Ausstattung der Campements berücksichtigt. Die Besucher von Elinkine müssen nicht auf einem Strohsack schlafen, sondern können in Betten mit Schaumstoffmatratzen und Moskitonetzen schlüpfen. In den Duschhäuschen gibt es fließend kaltes Wasser, sofern die Pumpe funktioniert, andernfalls schleppt Lamine Wasser vom Brunnen heran.

Marie ist für das Essen verantwortlich. Wenn sie gekocht hat, ruft sie die Gäste unter das große Strohdach. Es gibt nur senegalesische Speisen: das Nationalgericht Tiebou Dienn, Fisch oder Huhn Yassa, Mafé mit Erdnußsoße, Maniok und süße Kartoffeln, geröstete Austern, zum Nachtisch Ananas oder Kokosnuß. Aufgetischt wird alles, was in der Casamance wächst. „Anfangs haben wir das Essen in einer großen Schale auf dem Boden serviert“, erzählt Lamine. Doch den meisten Gästen sei die afrikanische Eßweise zu unbequem gewesen. Deshalb steht nun ein Tisch im Gemeinschaftsraum, und jeder ißt auf seine Art, die Touristen mit Messer und Gabel vom eigenen Teller, die Senegalesen mit den Fingern aus einer Schale. Die unterschiedliche Eßkultur ist häufig erster Anlaß für Gespräche zwischen Besuchern und Einheimischen. Allerdings klappt der kulturelle Austausch nicht immer reibungslos. Dies liegt häufig am mangelhaften Informationsstand der Besucher, der zu immer gleichen, oberflächlichen Fragen an die Einheimischen führt. Folge davon sind Unwillen und Unverständnis auf beiden Seiten. Zum anderen lassen sich die durch den Tourismus hervorgerufenen Probleme, wie das Betteln der Kinder, auch hier nicht immer unterbinden.

Ungeniert durch den dörflichen Alltag

Am Abend ist Gelegenheit, Ideen zu sammeln für den nächsten Tag. Wenn es in der Umgebung ein Fest gibt, werden die Touristen häufig dazu eingeladen. Im Dorf und in den umliegenden Reisfeldern kann der Bewohner der Campements ungeniert zusehen, wie die Menschen leben und arbeiten. Beim Spaziergang stößt er auf Ölpalmen, aus deren Baumkronen die Männer Saft zapfen, der zu Palmwein vergoren wird. Riesige Kapokbäume, deren Stämme durch die hohen Brettwurzeln eine Dicke von zwei Metern erreichen können, erinnern daran, daß früher die gesamte Casamance von dichtem Regenwald bedeckt war. Reste des Urwalds sind noch im Nationalpark Basse Casamance ganz im Süden an der Grenze zu Guinea Bissau zu sehen.

Die meisten Campements liegen an einem Arm des Casamance-Flusses, Bolong genannt. Pirogen sind daher das Hauptverkehrsmittel. Von Elinkine aus ist es nicht weit zur Vogelinsel oder nach Karabane, einer Insel mit Kolonialgeschichte, auf der es keine Straßen und Autos gibt. Aus der Zeit der Portugiesen stammen eine langsam verfallende Kirche und der Soldatenfriedhof. Vorbei an dichten Mangrovenbüschen, an deren Wurzelgestrüpp die Casamance- Austern wachsen, fahren die Pirogen bis zum Meer. Der weite Sandstrand bei Cap Skirring wird in Reiseprospekten als einer der schönsten Strände Westafrikas gepriesen.

Für viele der „integrierten Touristen“ beginnt das Erlebnis Afrika nicht erst in den Campements, sondern bereits mit der Anfahrt. Von der senegalesischen Hauptstadt Dakar nach Ziguinchor gelangt der Reisende mit der „Ile de Carabane“, einem ausrangierten deutschen Schiff, das zweimal wöchentlich ablegt und die 450 Kilometer weite Strecke in 20Stunden zurücklegt. Schneller, aber wesentlich unbequemer geht es mit dem afrikanischen Hauptverkehrsmittel voran. Das Buschtaxi fährt los, sobald es voll ist, beim Peugeot 504 müssen neun Kunden gefunden werden. Dem ungeduldigen Touristen wird vorgeschlagen, mehrere Plätze zu mieten, um die Abfahrt zu beschleunigen. Einmal unterwegs, stoppt der Fahrer nur noch bei Polizeikontrollen, manchmal auch zu den moslemischen Gebetszeiten oder bei Pannen, die angesichts der klapprigen Autos erstaunlich selten auftreten. Bei jedem Halt reichen Straßenhändler Fleischspieße, Orangen oder Limonaden durchs Fenster.

Im Hafen oder am „Gare Routière“, dem Buschtaxibahnhof von Ziguinchor, wird der Tourist sogleich in Empfang genommen. Taxichauffeure, selbsternannte Stadtführer und Hotelschlepper bieten freundlich-hartnäckig ihre Dienste an. „Wir sind wie die Mücken, aber wir stechen nicht“, beruhigt Ismail, einer von fünf Jungen, die ein ausländisches Paar umringen. Tatsächlich läßt er sich weder durch beharrliches Schweigen noch durch freundliche, dann aggressive Worte abschütteln. Sein Eifer ist verständlich: Nur wer am Monatsende die meisten Touristen in ein Hotel geführt hat, bekommt 5.000 CFA-Francs (30Mark) Prämie, alle anderen gehen leer aus. Manchmal gelingt es Ismail auch, einen Reisenden mit dem „wahren Afrika“ zu locken und ihn bei sich einzuquartieren. Das ist dann vollkommen integrierter Tourismus: Für den Gast räumt Ismail seinen eigenen Strohsack und fegt auch die letzte tote Kakerlake aus den Ecken seines Zimmers.

Für die „Campements Villageois“ macht in Ziguinchor niemand Werbung, denn damit ist kein Geld zu verdienen. Was der integrierte Tourismus einbringt, kommt allein dem Dorf zugute. Die Reisenden müssen also genau wissen, wohin sie wollen, und sich weiter mit Bus oder Buschtaxi durchschlagen. Das besonders schöne Campement von Enampore etwa liegt neun Kilometer von der Asphaltstraße entfernt und ist über einen Sandweg zu erreichen. Hier wohnen die Gäste in einem der berühmten Regenhäuser (case à impluvium), wie es sie nur in dieser Gegend gibt. Das Impluvium-Haus ist ein großer Rundbau mit einem Innenhof, der ein Auffangbecken für Regenwasser enthält. Das Dach entspricht einem Trichter. Es senkt sich zum Innenhof und läßt über eine runde Öffnung Licht und Regenwasser in den Hof. In das Campement von Affiniam gelangt man von Ziguinchor aus mit einer Piroge.

Das Geld kommt allein dem Dorf zugute

Der Dorfrat von Elinkine hat seine anfängliche Skepsis längst vergessen, denn das Dorf profitiert von seinem Campement. Lamine, Marie und vier weitere Bewohner haben ein regelmäßiges Einkommen, dessen Höhe von der Zahl der Besucher abhängt. Der darüber hinaus anfallende Gewinn des Campements ist steuerfrei. Über seine Verwendung entscheidet ebenfalls der Dorfrat. Bisher wurden mit dem Geld eine Schule und eine Entbindungsstation gebaut. In den anderen Dörfern flossen die Einnahmen aus dem integrierten Tourismus in den Gemüseanbau, die Viehzucht oder in handwerkliche Einrichtungen. Ein großer Teil der Einnahmen muß auch hier wieder für den Fremdenverkehr ausgegeben werden: Importe, Löhne, Nahrungsmittel und Instandsetzungsarbeiten können bis zu 64 Prozent der Einnahmen schlucken. Der im Dorf verbleibende Anteil ist jedoch im Vergleich zu den Einkommen in den umliegenden Dörfern ohne Campement immer noch sehr hoch.

Damit der Tourismus das Leben der Gemeinschaft nicht beherrscht, wurde die Zahl der Gästebetten auf 40 beschränkt. Am Eingang einiger Campements werden die Besucher auf einem Anschlag gebeten: „Bitte achten Sie unsere Dörfer und die Würde der Bewohner, geben Sie den Kindern weder Geld noch Bonbons, fotografieren Sie nicht, ohne zu fragen.“ Dennoch bleibt auch hier der Tourismus nicht ohne negative soziokulturelle Auswirkungen. Treffend bringt Lilo Roost-Vischer in einer Studie zur Casemance das Problem auf den Punkt: „Die Einheimischen wollen Tourismus ohne Touristen und die Fremden wollen reisen, ohne mit fremden bzw. einheimischen Menschen und Gewohnheiten konfrontiert zu werden.“

Doch die Initiative mit ihrer basisdemokratischen Struktur zieht Kreise. Inzwischen haben viele senegalesischen Dörfer beim Tourismusministerium den Wunsch geäußert, ebenfalls Campements zu errichten. Wie jede andere Form von Tourismus kann jedoch auch der integrierte ländliche Tourismus nur erfolgreich sein, wenn er etwas zu bieten hat. Die Casamance gilt als die landschaftlich schönste Region Senegals, und Palmarin, das Campement an der Petite Côte, liegt am Meer. Ob auch das Hinterland die Touristen reizen kann, wird derzeit in Dakar untersucht.

Auskunft: Fremdenverkehrsamt Senegal, Argelanderstr. 3,

5300 Bonn 1. Tel.: 0228/218008.

Ab 1992/93 soll die Casemance-ins Programm eines deutschen Veranstalters aufgenommen werden.

Literatur: „Tourismus und Dritte Welt. Ein kritisches Lehrbuch mit Denkanstössen.“ Hrsg.: Mechthild Maurer u.a., Berner Studien zu Freizeit und Tourismus 29. Zu beziehen über das Forschungsinstitut für Freizeit und Tourismus an der Universität Bern.