Pseudo-Grüne

Es gibt zwei Arten von Umweltschutz  ■ VON VANDANA SHIVA

Seit dem Brundtland-Report der Weltkommission zu Entwicklung und Umwelt ist Umweltschutz nicht mehr gleichbedeutend mit der Meinung einer Minderheit. Dieses Etikett hängt sich jeder um — Regierungen und internationale Institutionen, die eine Politik der Umweltzerstörung betreiben und sich zugleich in einer Rhetorik des Umweltschutzes üben, ebenso wie die Opfer der Umweltzerstörung, die gegen diese Entwicklungen ankämpfen.

„Umweltverträgliche Entwicklung“ wird zur neuen Bezeichnung für den alten Entwicklungsprozeß, der in erster Linie zur Umweltzerstörung führte. Unsere gemeinsame Zukunft lautet der Titel des Brundtland- Berichts, der mittlerweile die Schreibtische aller „Umweltschützer“ und „Entwicklungspolitiker“ auf der ganzen Welt ziert. Er vermittelt den Eindruck, für die Umweltkrise seien wir alle gleichermaßen verantwortlich und im gleichen Maße von ihr betroffen, und wir alle hätten die gleichen Interessen und die gleiche Strategie, um die Umwelt zu schützen.

Die Behauptung, der Umweltschutz sei politisch neutral, ähnelt der von der politischen Neutralität der Wirtschaftsentwicklung. Aber wie die „Entwicklung“ ist auch der „Umweltschutz“ in Wahrheit ein politischer Prozeß. Wer schützt welche Umwelt vor wem, ist die Frage, und offensichtlich ist es eine politische Frage. Es gibt zwei mögliche Antworten, die jeweils von der politischen Perspektive und dem politischen Standort des Antwortenden abhängen. In beiden Perspektiven sind die Menschen an Aktionen des Umweltschutzes beteiligt — aber im einen Fall als Opfer und Objekte, im anderen Falle als schöpferisch Handelnde im Widerstand und im Zeichen der Umwandlung.

Die erste, dominierende Perspektive ergibt sich aus dem Zusammenlaufen von Technokraten, Bürokraten und Regierungen, von Bankiers und Finanzinstituten. In ihr sind die „Schützer“ der Umwelt internationale Finanz- und Wissenschaftsinstitutionen und nationale Regierungen. Ihre „Umwelt“ ist ein bestimmter Teil des Ökosystems, soweit er als Handelsgut oder Rohstoff für die Industrie einen Wert besitzt. Beschützt werden muß die Umwelt sowohl vor der Natur als auch vor den Menschen, die ebenfalls an das Ökosystem Forderungen stellen, und diese Forderungen gelten als Problem.

Aus dieser Position heraus werden die Menschen als primäre Mittel zur Zerstörung eingeplant, und ihre „Beteiligung“ am „Umweltschutz“ läuft darauf hinaus, daß sie sich offiziellen Plänen und Programmen zur Nutzung von Ressourcen unterwerfen dürfen, die von internationalen und nationalen Institutionen erstellt wurden. Da solche Pläne häufig implizieren, daß Menschen von der Selbstversorgung abgeschnitten werden, polarisiert sich die „Beteiligung der Menschen“ zwischen Privilegierten und Marginalisierten.

Entfremdung der einheimischen Armen

Die Armen „beteiligen“ sich daher häufig als politisch Ausgeschlossene, als Opfer eines Prozesses, der sie von der Umwelt entfremdet, aus der sie ihren Lebensunterhalt beziehen. Die jeweiligen lokalen Kenntnisse und Fertigkeiten der Menschen werden ersetzt durch technokratische Kenntnisse, Banken und Bürokratien treten an die Stelle der sozialen Organisationen, die Ressourcen zu bewahren vermögen. Diese technologischen und finanziellen Kombinationen wirken sich gewöhnlich gegen die Möglichkeiten der Natur und der Menschen aus, den Niedergang der Umwelt aufzuhalten.

Die zweite Perspektive zum Umweltschutz ist die der Opfer der Umweltzerstörung und ihres Kampfes ums Überleben. In dieser Perspektive ist die Umweltkrise ein Produkt der kommerziellen und Entwicklungsprojekte internationaler Finanzinstitute wie der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds, der multinationalen Konzerne, internationalen Forschungsinstitute und nationalen Regierungen.

Die Umwelt, die zerstört wurde, ist nicht kosmetische Oberfläche unserer Umgebung — zerstört wurden vielmehr die wesentlichen ökologischen Prozesse, die für Menschen lebenserhaltende Systeme und Quellen des Lebensunterhalts darstellen. Diese wesentlichen ökologischen Prozesse und lebenserhaltenden Systeme sind Gaben der Natur und lassen sich nicht in Laboratorien oder Banken herstellen. Die Beteiligung der Menschen am Umweltschutz ist aus dieser Sicht eine Beteiligung auf zwei Ebenen. Das ist erstens die ökologische Beteiligung an den Naturprozessen, aus denen sich die Kenntnis der natürlichen Kreisläufe und der Erneuerbarkeit der Natur ergibt. Zweitens gehört dazu die Beteiligung an den politischen Prozessen, durch die dieses ökologische Wissen von Frauen, Stammesangehörigen und Bauern in Aktionen zum Umweltschutz umgesetzt wird.

Bis vor kurzem sah man den politischen Konflikt in der Umweltfrage weitgehend als Konflikt zwischen „Entwicklungsfetischisten“ und „Umweltfanatikern“. Der Brundtland-Report hat in der öffentlichen Meinung eine neue Situation geschaffen, und nun gibt sich jeder als Umweltschützer — auch diejenigen, die die Natur um des Profits willen vergewaltigen und zerstören. Es entwickelt sich eine neue Konfliktlinie zwischen zwei Arten von „Umweltschützern“: jenen, die die Umwelt um des Profits und der Macht willen zerstören und sich zugleich der Rhetorik des Umweltschutzes bedienen, und denen, die sie schützen wollen, weil es um ihr Überleben geht.

In den kommenden Jahren sehe ich den Umweltschutz im Zentrum der Politik. Da die natürlichen Rohstoffe aufgrund der Umweltzerstörung — weitgehend verursacht vom Entwicklungsprozeß — rar werden und die Nachfrage nach Rohstoffen den Wachstumsprozeß noch steigern wird, wird man neue Methoden finden, um den Wachstumsprozeß in Gang zu halten. Dabei wird man häufig Menschen im Namen des Umweltschutzes ihrer Lebensgrundlage berauben.

Schutz der Umwelt vor den Menschen

Der Entwicklungsprozeß wird unverändert weitergehen — abgesehen von seiner neuen Bezeichnung „umweltverträgliche Entwicklung“. Die Profitlogik des Marktes und die fragmentierte und reduktionistische Logik der Technokraten werden neue Rezepte für den Umweltschutz liefern — mit dem Ziel, die Umwelt vor den Menschen zu schützen; daraus ergeben sich neue Bedrohungen der Umwelt. Die „Umwelt“ ist bereits ein wichtiges Investitionsfeld für internationale Finanzinstitute. Das Acht-Milliarden-Dollar-Projekt der Weltbank und des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP) für einen Aktionsplan zum Schutz tropischer Wälder ist ein Beispiel für „Umweltschutz von oben“ — auf Kosten von Menschen und Natur.

Zu den „Erfolgen“, die dieser Plan weltweit anstrebt, gehören die von der Weltbank finanzierten Projekte der sozialen Forstwirtschaft. Diese Projekte bestehen real aus der Umwandlung fruchtbarer Anbauflächen oder Dorfgemeinschaftsflächen in Billigholz-Plantagen für die Industrie; sie rauben den Armen Land und Biomasse und setzen die Boden- und Wassersysteme großer Gebiete der Erosion aus.

Im Falle von Dürreproblemen bestand eine „Lösung“, die sich aus einer Partnerschaft zwischen der Weltbank, der indischen Regierung und den „Zuckerbaronen“ entwickelte, darin, tiefe Röhrenbrunnen zu bohren, um Wasser mit Motorkraft an die Oberfläche zu pumpen. Intensive Technologie- und Finanz-Investitionen führten zu einem intensiveren Verbrauch der kärglichen Wasserreserven für die Produktion bewässerten Zuckerrohrs. Im Ergebnis stand für die Nahrungsmittelproduktion und zum Trinken weniger Wasser zur Verfügung, und die Versteppungskrise verschärfte sich.

Eine andere Strategie gegen die Dürre entwickelte sich in Maharashtra aus der Zusammenarbeit verschiedener Initiativen. Ihr lag die gemeinsame Überzeugung zugrunde, Umwelt und Menschen müßten vor der Überausbeutung durch die Elite mittels der wasserintensiven Produktion von leichtverkäuflichen Erzeugnissen wie Zuckerrohr geschützt werden. Diese Initiativen verhinderten den Anbau von Zuckerrohr. Im zweiten Schritt nutzten sie kollektive Arbeit, um Regenwasser zu sammeln, um Trinkwasser und Wasser zur Bodenerhaltung für alle zur Verfügung zu stellen. Diese Strategie basierte auf politischer und sozialer Organisation, nicht auf Kapital- und Technologie-intensiven Investitionen. Für die Zuckerrohranbauer ergaben sich Verluste, aber das Ökosystem und die ärmeren Bauern verzeichneten einen Gewinn.

Im Umweltschutz von oben treten technologische Mittel und Marktintervention an die Stelle wesentlicher ökologischer Prozesse und der Macht des Volkes. Sowohl die Beteiligung der Menschen als auch die ökologische Regeneration werden im wesentlichen ausgeschaltet, aber rhetorisch beschworen. Das Ergebnis ist häufig eine Verschärfung der ökologischen Krise und eine weitere Zuspitzung der sozio-ökonomischen Ungleichheiten, mit neuen Bedrohungen für die am wenigsten privilegierten Gruppen der Gesellschaft.

Die Strategien der Opfer sind eine authentischere Strategie für den Umweltschutz — aber zunehmend werden sie als Rechtsverstöße behandelt. Solange dieser Trend nicht umgekehrt wird, solange der Stimme der Menschen gegen die Zerstörung der Umwelt nicht wirklich demokratischer Raum gewährt wird, werden „Beteiligung der Menschen“ und „Umweltschutz“ rhetorische Leerformeln bleiben.

Vandana Shiva ist führende Umweltwissenschaftlerin in Indien und Autorin von Staying Alive sowie diversen anderen Publikationen, die sich mit Ressourcen, Umwelt und Frauen beschäftigen. Den Artikel entnahmen wir Nr. 1/1992 von 'Development and Cooperation‘, herausgegeben von der „Deutschen Stiftung für internationale Entwicklung“. Übersetzung aus dem Englischen von Meino Büning