Li Peng sitzt fest auf wackeligem Stuhl

Chinas Premier distanziert sich beim Nationalen Volkskongreß von der Position des Altpolitikers Deng Xiaoping  ■ Aus Peking Catherine Sampson

Aufrufe zu umfangreichen Wirtschaftsreformen bestimmten die Rede des chinesischen Premierministers Li Peng zum Auftakt der jährlichen Sitzung des Nationalen Volkskongresses. Dabei vermied es der Premier gestern jedoch, sich der jüngsten Äußerung von Altpolitiker Deng Xiaoping anzuschließen, der die Hardliner in der chinesischen KP angegriffen hatte. Darüber hinaus hatte Deng gefordert, kapitalistische Methoden zur Verbesserung der sozialistischen Wirtschaft zu nutzen. Statt dessen beschwor Li erneut die Gefahren einer Verbreitung westlicher Ideen in China. „Wir müssen vor der bürgerlichen Liberalisierung auf der Hut sein“, sagte er, „ihren Anfängen wehren und niemals zulassen, daß sie wild um sich greifen.“

Li warnte darüber hinaus vor einer überhitzten Wirtschaftsentwicklung und den Gefahren der Inflation. Für das kommende Jahr sagte er ein Wachstum von sechs Prozent voraus — ein Prozent weniger als 1991. Er betonte seine Unterstützung des Staudammprojektes am Yangtse, des geplanten größten Wasserkraftwerks der Welt. Erst vor wenigen Tagen hatte das Politbüro beschlossen, daß die Zeit für eine hundert Jahre währende radikale Reform reif sei. Das griff Li nicht auf, was darauf hinweist, daß der Machtkampf zwischen Deng Xiaoping und seinen konservativen Gegenspielern noch längst nicht vorbei ist.

Li Peng scheint sich für einen Platz im konservativen Lager entschieden zu haben. Dies könnte jedoch bedeuten, daß sein Stuhl bei einer weiteren Verschärfung des Machtkampfs wackelt. Li, der Reformen bislang bestenfalls mit Zurückhaltung unterstützt hat, gilt jedoch auch als Opportunist. Daher war erwartet worden, daß er spätestens zum gegenwärtigen Zeitpunkt auf den Dengschen Zug springen würde.

Die traditionelle Pressekonferenz mit chinesischen und ausländischen JournalistInnen war von Li mit dem Hinweis abgesagt worden, sie sei „unnötig“. In Peking heißt es, der Premier wollte vermeiden, sich der unangenehmen Frage zu stellen, wer als nächster in der Parteiführung abgesägt wird. Deng Xiaopings Attacke gegen diejenigen, die den Reformprozeß blockieren, hat bereits zum Rücktritt des Hardliners und Kulturministers He Jingzhi geführt. Die nächsten auf der Liste, heißt es in Peking, könnten der Chefredakteur der 'Volkszeitung‘, Gao Di, und der Propagandachef Wang Renzhi sein.