„Die Autoindustrie muß sich ändern“

■ Interview mit Ulrich Steger von VW, dem einzigen Umwelt-Vorstand der deutschen Autoindustrie

Ulrich Steger (48) ist im Vorstand der Volkswagen AG seit September 1991 für „Umwelt und Verkehr“ zuständig. Der promovierte Volkswirt hat seine ersten Sporen in der Atomindustrie verdient. 1984 wurde der Sozialdemokrat Wirtschaftsminister der rot-grünen Koalition in Hessen. Steger genehmigte den Ausbau der Hanauer Atomfabriken, an dem die Koalition 1987 scheiterte. Steger, der sich VW auch als Produzenten von „elektronisch gesteuerten Magnetschwebekabinen“ vorstellen kann, ist der einzige Öko-Vorstand eines deutschen Autoherstellers.

taz: Die Autoindustrie ist doch inzwischen Ozonkiller und Volksvergifter Nummer eins.

Ulrich Steger: Das würde ich sicher nicht unterschreiben wollen. Die Automobilindustrie hat nur insofern mit der FCKW-Problematik zu tun, als die Stoffe in unseren Produkten drin sind; wir produzieren sie nicht. Ich glaube, die größten Probleme mit den ozonzerstörenden FCKW gab es in den Bereichen, in denen die Stoffe direkt in die Atmosphäre abgegeben worden sind. In dem Augenblick, wo wir sie also recyceln, ist das Problem nicht mehr so klimarelevant. Und wenn Sie als Autofahrer die Klimaanlage unbedingt stillegen wollen, können Sie ja den Antriebskeilriemen für die Klimaanlage abnehmen und das Kühlmittel fachmännisch abpumpen lassen.

Wie sieht es den konkret aus mit dem FCKW-Verbrauch bei VW?

Es gibt eine Beschäftigung mit dem Problem seit zehn Jahren. Der große Einschnitt kam 1991. Das bot sich zum Modellwechsel beim Golf an. Ab Sommer 1992 gibt's keine FCKW mehr in den neuen Volkswagen.

Stichwort Volksvergifter: In Berlin gibt es eine Debatte, ob nicht bestimmte Hauptverkehrsstraßen gesperrt werden müssen, weil die Luft dort die zulässigen Grenzwerte an Stickoxiden überschreitet.

Die Frage, wann sind welche Grenzwerte überschritten, klären die Berliner gerade selbst. Man muß ja sehen, daß die Grenzwerte unter dem Vorsorgegesichtspunkt kontinuierlich nach unten verändert worden sind. Ich glaube ja, daß die deutsche Autoindustrie in der Lage sein wird, entsprechende Lösungsvorschläge anzubieten — den Katalysator weiter zu verbessern oder durch neue Verbrennungsprozesse die Schadstoffe weiter zu reduzieren. Aber das braucht Zeit. Und nicht zu vergessen: Sie tun so, als ob die Autoindustrie nichts anderes täte, als den Verbraucher zu vergewaltigen. Ich möchte darauf hinweisen, daß die Nachfrage nach Automobilen relativ freiwillig erfolgt.

In Köln haben Kinder 70Prozent mehr Benzol im Blut als in der westfälischen Kleinstadt Borken. Ist es nicht an der Zeit für autofreie Innenstädte?

Natürlich können wir uns das vorstellen. Die Automobilindustrie hat zwei Probleme. Das eine heißt Japan und ist ein Kostenproblem. Das andere ist die Umwelt. Es gibt zwar im konkreten immer noch den Streit, wer jeweils die Schuld trägt, aber niemand stellt doch mehr ernsthaft in Frage, daß unsere Mobilität mit weniger Ressourcenverbrauch und Umweltschädigung erstellt werden muß. Und daß wir bei den technischen Möglichkeiten des Automobils nicht am Ende der Fahnenstange sind, bestreitet auch keiner. Autofreie Innenstädte sind aber letztlich eine politische Entscheidung. Ob die in jedem Fall richtig ist, da hätte ich allerdings meine Zweifel.

VW hält sich einiges darauf zugute, beim Recycling weit vorn zu sein. Wieviele ihrer Mitarbeiter arbeiten denn in dem Bereich?

Das ist schwer zu sagen. Das ist der klassische Fall einer Querschnittaufgabe. Es beginnt bei der Beschaffung, wo die Stoffe recyclingfähig sein müssen. Dann kommt die Konstruktion, der Vertrieb, der die Händler vorbereitet, die Logistik und schließlich die fünf Experten in meinem Ressort. Im Bereich der Demontagezentren würde ich vermuten, daß zukünftig für die gesamte Autoindustrie bundesweit etwa 150 Demontagezentren mit je 30 bis 50 Mitarbeitern entstehen werden.

Das ist eine Zielprojektion?

Ja. Die Vorstellung, die es einmal gab, hier werde eine Automobilindustrie rückwärts entstehen, ist so nicht richtig. Unser Marktanteil liegt bei etwa einem Viertel. Hier werden also 1.500 bis 2.000 Leute arbeiten. Wichtig ist: die Demontage erfolgt zur Ressourcenschonung und Abfallvermeidung und ist nicht so sehr Geschäft.

Wieviele der 4.000 Forschungs- und Entwicklungsingenieure bei VW arbeiten nun daran?

Im Grunde jeder. Ein neues Auto hat 15.000 Teile. In den Lastenheften (Vorgaben, d.Red), die wir für die Autos schreiben, ist die Recyclingfähigkeit des Kunstoffes von hoher Bedeutung. Kunstoff ist ein kritischer Bereich, aber auch Glas, Reifen und andere Materialien haben ihre festgeschriebenen Kriterien.

Es gibt Kritiker, die sagen, die Autoindustrie ist schon eine Altindustrie.

Dies fällt mit schwer zu glauben. Im Moment ist die Nachfrage hoch. Wir haben eher Lieferprobleme, als daß wir auf Halde produzieren. Ich glaube schon, daß irgendwann in den dichtbesiedelten Industrieländern bestimmte Sättigungserscheinungen eintreten werden. Aber es stellt sich die Frage, was ist mit den Ländern der Dritten Welt, den Schwellenländern? Die werden zwar nicht alles das wiederholen können, was wir ihnen vorexerziert haben, aber immerhin... Ihre These wäre im übrigen nur dann richtig, wenn die Autoindustrie nicht begriffen hätte, daß sie sich in ihren Produkten in den kommenden Jahren erheblich ändern muß. Wir werden nur dann eine Dinosaurierindustrie, wenn uns nichts anderes einfällt, als die Autos der fünfziger Jahre weiter zu bauen.

Seit Frederick Vester im Auftrag der Industrie eine Studie über die Zukunft des Autos veröffentlicht hat, steht im Raum, daß die Autoindustrie Osteuropa „als weiteren Absatzmarkt für den bisher produzierten Konsumschrott“ nutzt.

Das stimmt nicht. Wir werden im nächsten Jahr mit zwei Diesel-Autos auf dem Markt sein, die im Schnitt unter fünf Liter Sprit verbrauchen. Aber hier kommen wir zu einem anderen Punkt: Die Fahrzeugkonzeption, nach der wir produzieren, hängt ab von der Verkehrskonzeption.

Was heißt das?

Heute bauen wir Autos, mit denen zur Arbeit, zum Einkauf und in den Urlaub gefahren werden kann, die sie universell nutzen. Wenn sich die Verkehrskonzeption ändert, also beispielsweise Nutzungsvorteile für Elektroautos bietet, werden wir auch andere Fahrzeugkonzepte anbieten. Die Produkte der Industrie werden in der Marktwirtschaft bestimmt durch das, was der Bürger will und wie die Rahmenbedingungen sind. Der von der Industrie selbst bestimmte Faktor ist die technische Kompetenz, mit der sie die Produkte anbieten kann. Wenn die Bürger in zwanzig Jahren nur noch mit elektronisch gesteuerten Magnetschwebekabinen durch die Gegend sausen wollen, dann können Sie die bei Volkswagen kaufen.

Das heißt, die steigenden PS- Zahlen bei den Neuwagen gehen allein auf die Nachfrage der Bürger zurück?

Die Entwicklung mit den steigenden PS-Zahlen dürfen sie nicht linear fortschreiben. Die steigenden PS- Zahlen sind zunächst durch die Japaner induziert worden. Sie hatten damit Erfolg, dann ist die deutsche Industrie nachgefolgt. Im Moment beobachten wir allerdings den gegenläufigen Trend, ein Downsizing bei der Größe, wenn auch nicht unbedingt bei den PS-Zahlen.

Wieviel Prozent der von VW produzierten Autos fahren über 180 Kilometer schnell?

Da liegen wir langsam im Branchendurchschnitt. Rund vierzig Prozent. Die höchstmotorisierten Autos verkaufen wir übrigens in dem Land mit den strengsten Geschwindigkeitsbegrenzungen, den USA.

Und beim Spritverbrauch? Anfang der sechziger Jahre lag der Verbrauch je Kilometer um rund ein Fünftel unter den heutigen Werten.

Eigentlich sollte der Flottenverbrauch (Verbrauch aller Autos einer Marke im Durchschnitt, d.Red.) im Durchschnitt leicht zurückgegangen sein. Aber wir haben zwei Effekte. Das erste sind die höheren PS-Zahlen, und das zweite ist der Komfort. Die Autos werden immer schwerer. Jedes Kilo Gewicht bedeutet einen Mehrverbrauch von vier Litern Sprit über die Lebensdauer des Autos. Die beiden Faktoren haben wieder wettgemacht, was technisch an Energieeffizienz gewonnen wurde. Außerdem haben sich der Katalysator und der Rückgang des Dieselanteils negativ auf den Durchschnittsverbrauch ausgewirkt. Wenn die Bundesregierung 25Prozent Kohlendioxid-Einsparung im Verkehr erreichen will, brauchen wir einen signifikant höheren Dieselanteil.

Die 25Prozent CO2-Einsparung im Verkehr lassen sich doch nicht allein technisch einsparen, dazu braucht es Verkehrsvermeidung.

Ja, natürlich. Aber der Verkehr folgt doch anderen gesellschaftlichen Entwicklungen. Der EG-Binnenmarkt bringt aus ökonomischen Gründen mehr Verkehr. Wenn Sie die Frau aus dem engen Dreieck von Kinder, Küche, Kirche befreien, und sie wird berufstätig, werden Sie mehr Verkehr haben. Wir sehen immer auf die Staus im Berufsverkehr. 1990 hat der Freizeitverkehr den Berufsverkehr an gefahrenen Personenkilometern überholt. Mehr Freizeit führt zu mehr Verkehr. Ohne Verkehrsvermeidung wird sich das Ganze auf Dauer nicht steuern lassen, aber ich habe eine relativ realistische Einstellung, wie weit man damit kommt.

Wie reagiert VW auf andere Verkehrsmittel?

Es ist mittlerweile ziemlich unstrittig, daß unser eigentliches Produkt die Mobilität ist. Die kann man in der Demokratie nicht gewaltsam einschränken. Wie kann man also die Mobilität mit einem Minimum an Ressourcenaufwand erreichen? Der Mobilitätsstandard der Bürger wird heute durch das Auto bestimmt. Eine Individualisierung des öffentlichen Nahverkehrs würde helfen, wie bedarfsgesteuerte Busse in den Ballungsrandgebieten. VW arbeitet an vielen städtischen Verkehrskonzepten mit, weil wir wissen, daß eines der wesentlichen Rationalisierungspotentiale beim Verkehr in einer besseren Verknüpfung liegt. Trotzdem bleibt die Verkehrssteuerung primär eine politische Aufgabe. Interview:

Hermann-Josef Tenhagen