Die Gülleverordnung als Wahlkampfthema

Am 5. April finden in Schleswig-Holstein Landtagswahlen statt/ Der Wahlkampf schleppt sich dahin: Ottfried Hennig von der CDU glaubt wohl selbst nicht so recht daran, die SPD übertrumpfen zu können/ Grüne bleiben weitgehend unter sich  ■ Aus Kiel Bascha Mika

Skandal! In Schleswig-Holstein wird der „Leistungsgedanke geschwächt“. „Kalt“ hat die SPD- Regierung die Zeugnisnoten in der dritten Klasse abgeschafft. „Kinder können sich nicht mehr vergleichen, Eltern können sich nicht klar orientieren“, wettert die CDU. Solche Themen bewegen zur Zeit das Bundesland zwischen den Meeren: Es ist Wahlkampf in Schleswig-Holstein.

Im Norderstedter Rathaus sitzt man ordentlich in dunkel gebeizten Bänken. Die Kommunalpolitische Vereinigung der CDU hat zum Frühjahrstreffen geladen. Ottfried Hennig, Spitzenkandidat für die Landtagswahl, lächelt von Plakaten und am Rednerpult. Bundesumweltminister Töpfer sitzt mißlaunig auf dem Podium und wartet auf seinen Einsatz.

Weil Hennig will, daß der Leistungsgedanke gestärkt wird, kriegt der amtierende Ministerpräsident Engholm zunächst eine Note verpaßt. „Hat er nun eine 2 oder eine 4 verdient?“ fragt der Redner, dessen grauer Anzug farblich auf die silbrigen Haare abgestimmt ist. „Eine 6“, tönt es aus dem Publikum, und alle freuen sich klatschend.

Von den rund 36.000 Christdemokraten des Nordens sitzen etwa 200 im Norderstedter Saal, um den parlamentarischen Staatssekretär im Verteidigungsministerium zu hören. Der hofft auf die „Wende der Wende“ und darauf, daß der Finsterling Barschel und die 33,3 Prozent bei der letzten Wahl vergessen sind. Doch da klingt selbst Fraktionsvorsitzender Klaus Kribben nicht optimistisch. „Wir sind eigentlich ganz zuversichtlich“, behauptet er zwar. Aber allein die doppelte Abschwächung in seinem Satz zeigt deutlich die Stimmung in der Partei mit dem „Barschel-Defizit“ (Kribben).

Verbissen kämpft Hennig darum, daß ihn jemand kennt. In Norderstedt wirft er der SPD die „Plünderung der kommunalen Kassen“ vor und vergißt dabei geflissentlich, daß die Mehrwertsteuerentscheidung seiner Bundespartei für ein strukturschwaches Land wie Schleswig-Holstein das viel ärgere Problem ist. Er lächelt angestrengt; die Gesten kommen rhetorisch geschult aber leblos. Steril wirken sie, wie der ganze Mann mit der spitzen Nase. Der Landesverband wollte einen von draußen, dem man nach dem Barschel-Disaster erst „gar nichts anhängen“ kann. Aber das ist wohl Hennigs einziges Plus.

„Wir haben keine große Chance am 5. April“, sagt ein CDU-Mann. Am Eingang zum Saal steht er mit einem Glas Sekt und diskutiert mit Parteifreunden. „Sonst müßte schon sehr viel passieren!“ Jetzt kommt der Umweltminister zum Zug, einer der vielen Bonner Prominenten, die die CDU zur Unterstüzung an die Wahlfront gerufen hat.

Hennig dankt Töpfer für die „solidarische Unterstützung“. Das hätte er besser nicht getan. Kaum steht Töpfer am Rednerpult, verschwindet der mausgraue Spitzenkandidat in den Dielenritzen. Weit holt der Bonner Politiker aus, schlägt den Bogen von seiner Kindheit in Schlesien bis zur Wende '89, um dann in heutigen Zeiten zu landen, „wo Utopien Realität werden“. „Ich bin gegen Erbsenzählerei in historischen Zeiten“, brummt er sonor ins Mikrofon um gleich anschließend einige Härtegrade zuzulegen und mit metallischem Klang auf den Sozialismus einzuschlagen. Das Kinn in die Hände gestützt schaut Hennig ihn an und fragt sich wohl verzweifelt, wie Töpfer das macht. Landespolitik läßt der Umweltminister fast völlig beiseite. Nur auf Günter Jansen geht er kurz ein. Der schleswig-holsteinische Energieminister wolle sich mit seinen ständigen Ankündigungen zum Atomausstieg „aus der Verantwortung stehlen“, schimpft Töpfer. Jansen wisse genau, daß er ohne die Kernkraftwerke die Energieversorgung des Landes nicht sichern könne — womit er zweifellos recht hat. Dann ruft der Bonner ziemlich unvermittelt zur Wahl von Hennig auf, und der kann nur nicken.

Genickt wird viel in diesem Wahlkampf, denn die richtigen Kontroversen fehlen. Der Engholmsche Stil — Differenzen einzuebnen und möglichst alles an einem Runden Tisch zu diskutieren — prägt selbst die Auseinandersetzungen um die Landtagssitze. Das Asylthema, mit dem die Bremer CDU klotzte und den Rechten über sechs Prozent bescherte, wird von allen Parteien nur am Rande erwähnt. Prompt liegen die Wahlprognosen für DVU und „Republikaner“ weit unter fünf Prozent.

Die für die SPD dagegen blendend. 49,3 Prozent der rund 2 Millionen Wahlberechtigen werden sie wählen, sagen die Allensbacher Meinungsforscher voraus. Die Sozis an der Basis wiegen sich in Sicherheit und sind guter Stimmung. Wie in Owschlag in der Nähe von Schleswig. Mit Dixieband und Bier wird der Ministerpräsident zum Auftritt erwartet. „Ich finde ihn bestens“, sagt Erich Staack und faltet die derben Hände über der Weste. Bauer ist er und seit 20 Jahren Sozialdemokrat. „Obwohl es doch immer heißt: Haste 'ne Kuh, wähl CDU.“

Kaum ist Engholm im Saal, lobt er ersteinmal den CDU-Bürgermeister des Ortes, der 20 Jahre amtiert hat. So nimmt man den Gegner für sich ein. Dann legt er los — freundlich- korrekt und aufrecht wie immer — und klagt über die Finanzmisere. Noch vor zwei Tagen hat sein Kabinett Einsparungen von 130 Millionen beschlossen. Wahl hin oder her. „Wir müssen allein 1,2 Milliarden Mark Zinsen auf die Altschulden der CDU zahlen“, berichtet der Landeschef dessen Finanzministerin für 1993 „ein Blut-Schweiß-und-Tränen-Jahr“ voraussagt.

„Der Staat muß sich auf wenige Aufgaben konzentrieren“, verkündet Engholm sein Credo; Kindergartenplätze, Wohnungsbau und die technisch-wissenschaftliche Infrastruktur sollen dazu gehören. Zwischendurch macht er dann ein bißchen Front gegen Bonn und die Mehrwertsteuerentscheidung, um seine Kanzlerambitionen nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

Und als er dann noch über die neue „Gülleverordnung“ redet — „das ist das, was beim Vieh hinten rauskommt“ — ist Erich Staak begeistert. „Die SPD hat hier unheimlich aufgeräumt“, preist er seine Partei und tippt, daß sie wie bei der letzten Wahl auch diesmal auf über 50 Prozent kommt. „Die Grünen haben viel angestoßen“, wiederholt er die Einschätzung seines Ministerpräsidenten. Aber das sie diesmal endlich in den Landtag einziehen können, glaubt er nicht. Legt man die Besucherzahlen ihrer Veranstaltungen zugrunde — 13 Leute bei einem Auftritt der niedersächsischen Frauenministerin Waltraud Schoppe — könnte er recht behalten. „Die Grünen haben sehr gute Leute auf ihrer Liste“, hört man aus der SPD. Aber dort hofft man, daß es bis zur Wahl „niemand merkt“.

Engholm erläutert inzwischen, mit wem zusammen er „gerne regieren“ würde. Mit den Grünen will er nicht, weil sie „auf dem Buckel von Asylsuchenden“ Politik machten. Und mit der FDP nicht, weil mit ihr keine vernüftige Sozialpolitik zu machen sei. „Es macht mehr Spaß, alleine zu regieren“, stellt der Ministerpräsident dann fest. Und die Sozis im Saal widersprechen ihm nicht.