Kino-Piratin jenseits aller Schubladen

■ Porträt von Chantal Akerman, 23.15 Uhr, W3

Um gebeutelten Kinobetreibern endlich wieder Geld in die Kassen zu bringen, eignen sich ihre Filme kaum. Aber die belgische Regisseurin Chantal Akermann hat sich im Laufe der letzten 15 Jahre innerhalb der europäischen Filmlandschaft zweifellos jene Position erobert, die man gemeinhin mit „Kult-Status“ umschreibt. Bereits der dreieinhalbstündige Film, der die damals 25jährige 1975 hierzulande bekannt machte, fiel aus allen wohlsortierten Genre-Schublädchen, und sein Titel bestand schlicht aus Name und Adresse seiner einzigen Figur: Jeanne Dielmann, 23 Quai du Commerce — 1080 Bruxelles.

Drei Tage aus dem Leben einer Frau um die 40 (gespielt von der inzwischen verstorbenen Delphine Seyrig), die die Kamera bei ihren alltäglichen hausfräulichen Verrichtungen in ihrer Wohnung beobachtet. Ein Prinzip der — vordergründig gesehen — unspektakulären Sujets, dem Chantal Akermann bis heute ebenso treu geblieben ist, wie sie sich ihre Unabhängigkeit als Regisseurin bewahrt hat. Ihre Filme — zwischen Spielfilm und Experimentalfilm — sind allesamt Low-budget-Produktionen, weshalb sie sich selbst den Titel einer „Piratin des Kinos“ verliehen hat.

In ihrem einstündigen Porträt befragten Corinna Belz und Marion Kollbach die eigenwillige Filmemacherin zu ihrer Arbeit, ihrem Verhältnis zu Räumen, Städten wie Paris, Brüssel und New York und ihrer besonderen Vorliebe für die Nacht als zeitlichem Rahmen ihrer Filme. „Es stimmt, daß in der Nacht die gesellschaftlichen Regeln fallen. Und wenn man nachts an realen Orten dreht, veschwinden die Einzelheiten, die man tagsüber sieht. Also sieht man bloß die wesentlichen Formen.“

Das Gespräch mit Akerman, die mit 15 Jahren von dem Wunsch überfallen wurde, Filme zu machen, nachden sie Godards Pierrot, le fou gesehen hatte, wird immer wieder unterbrochen und ergänzt durch Sequenzen aus ihren Filmen. Beispielsweise aus ihrem wohl bis heute bekanntesten — Eine ganze Nacht. Reinhard Lüke