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KOMMENTAREDrohender Bruderkrieg

■ In der Türkei kam es zur offenen Machtprobe zwischen Regierung und kurdischer Guerilla

Die Erwartungen sind erfüllt worden. Zu Newroz, dem kurdischen Frühlingsfest, dem Symbol des Aufbegehrens gegen die despotische Staatsmacht, fand das Blutbad statt. Der Chef des türkischen Geheimdienstes, der Generalstabschef und etliche andere Betonköpfe haben es uns angekündigt. In der Türkei herrschte wochenlang das „Frühjahrssyndrom“. Mit noch mehr Helikoptern, noch mehr Soldaten, noch mehr Panzern — die NVA-Bestände sind ein Segen — hat man die Lösung der Kurdenfrage, sprich die „Ausmerzung“ der PKK-Guerilla angekündigt. Die PKK ihrerseits hat vom „Volkskrieg“ geredet, davon daß jeder Kurde ein Guerillero sei, daß Frauen und Kinder an vorderster Front stehen würden. Es kam wie angekündigt. Die Panzer rollten über Kinder hinweg.

Die Beteuerungen der Regierung Demirel, es werde schon nichts passieren, waren ein Hohn. Was macht es für einen Sinn, daß der Ministerpräsident glückliche Newroz-Botschaften im Fernsehen verkündet und brav kurdische Abgeordnete zu Newroz empfängt, wenn die türkischen Kommandeure in Türkisch-Kurdistan Panzer über Zivilisten fahren lassen? Die kurdischen Abgeordneten haben ohnehin nichts zu sagen. Der Newroz war eine Kraftprobe zwischen türkischem Staat und PKK. Und die PKK hat gezeigt, daß sie nicht nur eine Guerillaorganisation ist, sondern die politische Kraft in Türkisch-Kurdistan, die die Masse der Bevölkerung hinter sich hat. Ein unmittelbarer Dialog zwischen der PKK und dem türkischen Staat ist nun endgültig die wichtigste Voraussetzung für Frieden in Türkisch-Kurdistan. Noch ist Zeit, um die Waffen zum Schweigen zu bringen. Die PKK ist offen für einen Dialog.

Doch Dialog mit wem? Hat die Regierung Demirel, die Ende letzten Jahres mit ihrem Demokratisierungspaket antrat, überhaupt etwas zu sagen? Zu offenkundig ist, daß bei der staatlichen Kurdenpolitik nicht das türkische Parlament und die Regierung maßgebend sind. Die allmächtigen Militärs ziehen im Hintergrund die Fäden, und Ministerpräsident Demirel, der Mann mit dem feinen Gespür für politische Kräfteverhältnisse, hat sich mit denen, die ihn beim Militärputsch 1980 aus dem Amt jagten, arrangiert.

Nur wenn die Türken mit diesen dunklen Kräften abrechnen, nur wenn es tatsächlich ein souveränes türkisches Parlament gibt, kann es eine Lösung der Kurdenfrage geben. Die Legalisierung der PKK ist unvermeidlich, will man weiteres Blutvergießen verhindern. Ansonsten droht der Türkei, wo 15 Millionen Kurden leben, ein Bruderkrieg. Es drohen libanesische Verhältnisse. Ömer Erzeren, Istanbul

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