Sauer auf Washington

■ Die US-Bürger sind angewidert von ihren Volksvertretern, die Wahlkämpfer posieren konsequent als Außenseiter

Von Martina Sprengel

Washington (taz) — Die USA hat ein Fieber befallen. Es heißt Anti- Amtsträger-Stimmung und hat weite Teile der Wählerschaft infiziert. Opfer sind aber nicht die Wähler, sondern ihre Abgeordneten in Washington und den Einzelstaaten. Geplagt von Rezession, Arbeitslosigkeit und Steuererhöhungen, haben die ihre Sündenböcke gefunden: „Die da oben“. Die Politiker, die sich nach Meinung der meisten Amis einen Dreck darum scheren, wie es dem Mann und der Frau auf der Straße geht. Die Politiker, die nichts anderes im Sinn haben als ihren eigenen Vorteil. Die Politiker, die nicht dem Volk, sondern einzelnen Interessengruppen dienen, deren Lobbyisten sich in den Wandelhallen des Kapitols rumdrücken.

„Wir wollen eine Veränderung“, erklärte mir Joy Prize, eine ältere Lady mit ein wenig zu viel Schminke im Gesicht, kürzlich bei einer Wahlveranstaltung für Pat Buchanan. Wie dieser Wandel genau aussehen soll, weiß Joy nicht. Pat Buchanan, der Rechtsaußen der Republikaner, scheint ihr aber genau richtig. Er will den „Saustall“ in Washington ausmisten, und das allein macht ihn für viele Wähler attraktiv. Buchanan präsentiert sich als der ultimative Außenseiter und steht mit dieser Taktik nicht allein. Bill Clinton, der seit seinem 16.Lebensjahr Präsident werden will und elf Jahre lang Gouverneur ist, versucht Wähler damit ebenso zu beeindrucken wie Jerry Brown, der von Kindesbeinen an zum politischen Establishment gehörte. Brown versucht diesen vermeintlichen Makel sogar in wahlpolitisches Kapital umzumünzen. Er bekämpfe jetzt Korruption und Interessengruppen, weil seine Zeit als Gouverneur und Parteichef in Kalifornien ihm die Augen geöffnet hätten. Geläutert lehnt er jetzt Spenden über 100 Dollar ab und will „Herz und Seele der demokratischen Partei“ wiederherstellen.

Selbst George Bush versucht sich die Anti-Washington-Stimmung im Lande zunutze zu machen. Er dirigiert den geballten Unmut der Bevölkerung auf den Kongreß. Eine Institution, die — so Bush in seiner jüngsten Attacke — von einer demokratischen Führung kontrolliert wird, die „noch nicht einmal eine kleine Bank verwalten kann“ und für „Pfründe, Privilegien, Parteilichkeit und Lähmung“ steht. Und um dem ganzen Land eben jene Pfründe, die im hiesigen Volksmund „pork barrels“ heißen, vorzuführen, will Bush den Kongreß jetzt zwingen, zunächst einmal 68 solcher Posten aus dem Haushalt zu streichen. Diese Leckerchen, die sich die Abgeordneten gegenseitig für ihre Wahlkreise zugestehen, reichen von der Erforschung stachliger Birnen bis hin zum Bau von U-Booten.

Wie schon Harry Truman 1948 hackt der Präsident auf dem „nichtstuenden Kongreß“ herum. Daß er selbst der oberste Amtsträger im Lande ist, scheint Bush dabei allerdings zu vergessen. Sein demokratischer Konkurrent wird keine Gelegenheit ungenutzt lassen, die Wähler daran zu erinnern.