Der Kanzler sucht eine Berliner Bleibe

Internationaler Wettbewerb um das geplante Regierungs- und Parlamentsviertel in Berlin beginnt/ Doch die Planungen widersprechen sich noch/ Der Zeitplan gerät in Verzug  ■ Aus Berlin Eva Schweitzer

Die Umzugsplanung für die Bundesregierung ist einen kleinen Schritt weitergekommen: Der Berliner Senat stellte letzte Woche der Konzeptkommission des Bundestages die Vorgaben des städtebaulichen Wettbewerbs für das Regierungsviertel im Spreebogen vor. Der Wettbewerb selbst soll Ende Mai international ausgelobt werden. Und bis Ende diesen Jahres will Bonn einem Konzept den Zuschlag erteilen.

Der Spreebogen ist eine Landzunge, die in eine Schleife der Spree nahe dem altehrwürdigen Reichstag eingebettet ist. Dort sollen Bürogebäude für Abgeordnete mit zusammen 150.000 Quadratmeter Fläche errichtet werden. Dazu wird das Kanzleramt mit weiteren 20.000 Büroquadratmetern kommen. Keines dieser Gebäude darf höher sein als der Reichstag, in dem das Parlament tagen wird, so daß ein beträchtliches Breitenwachstum zu erwarten ist. Zum Vergleich: Das Berliner KaDeWe, eines der größten Kaufhäuser der Welt, hat 30.000 Quadratmeter Fläche.

Zudem ist in den Wettbewerbsvorgaben auf Kohls persönlichen Vorschlag hin ein Standort für das Kanzleramt südlich der Spree und westlich der Entlastungs- und Moltkestraße vorgesehen, eine stark befahrene Nord-Süd-Verbindung. Das Gelände — bis vor kurzem Kohls Wunschort für das geplante Deutsche Historische Museum — hat Tradition: Dort befand sich bis 1918 das Oberkommando der Wehrmacht. In den Jahren darauf zog Himmler mit seinem Reichsinnenministerium in das heute abgerissene Gebäude.

Über die Plazierung des Kanzleramtes an jener Stelle brach in Berlin eine aufgeregte Diskussion aus: Ob es nicht sinnvoller sei, das Amt gen Osten und mehr in Richtung des Berliner Reichstags zu verschieben, hieß es aus dem Hause des Bausenators Wolfgang Nagel (SPD). Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer (CDU) hielt erschrocken dagegen: Verschiebe man das Kanzleramt dorthin, so lande es just da, wo es schon Hitlers Reichsarchitekt Albert Speer geplant habe.

Nun gilt der gesamte Grund und Boden im weiten Umkreis um den Reichstag als „historisch belastet“. Hassemers Erwiderung war wohl eher aus der Angst geboren, der in der CDU so gefürchtete Kanzler möchte den Eindruck gewonnen haben, er werde von den Berlinern über seinen Kopf hinweg beplant. Auch der Vorschlag aus der Bauverwaltung, das Kanzleramt zum Reichstag hin zu verschieben, hat eher pragmatische Gründe: Denn würde der Kanzlersitz wie vorgesehen westlich der Entlastungsstraße gebaut, so schnitte der geplante 80 Meter breite Eisenbahntunnel unter dem Spreebogen — respektive seine Baustelle — das Kanzleramt vom Parlament ab.

Ob dieser Tunnel aber wirklich kommt, ist alles andere als sicher. In Bonn hat sich der Widerstand dagegen auf gleichbleibend hohem Niveau verfestigt. Schließlich möchte dort niemand als derjenige in die Geschichte eingehen, der den Umzug der Bundesregierung um Jahre verzögert hat, weil er seine Zustimmung zur Berliner Tunnelplanung gab. Berlin seinerseits hat in seinen Vorgaben für den Wettbewerb die Frage „Tunnel oder nicht“ schlicht ausgeklammert. Dies reiche man nach, beruhigte Hassemer — im April, vielleicht auch im Mai. Manche Bonner erinnern sich sogar daran, daß der Senator von einem Nachreichungstermin im Juni gesprochen habe.

Auch manch anderes erscheint in den Wettbewerbsvorgaben mit heißer Nadel gestrickt. So gibt es keine präzise Vorgabe für die Anzahl der Parkplätze im Spreebogen. Und wie dort das vom Senat angestrebte Verhältnis von öffentlichem Nahverkehr und Autoverkehr von 80 zu 20 verwirklicht werden kann, blieb ebenfalls offen. Bislang nicht thematisiert wurde außerdem, was mit den Spreeuferwegen geschehen soll, die beliebte Wanderwege der Berliner sind. Diese so sicherheitsempfindlichen Pfade will Kohl, so war aus Bonn zu erfahren, sperren lassen. Der Protest der Berliner dürfte so sicher kommen wie das Amen in der Kirche.

Von eher pessimistischer Stimmung zeugt auch die Einschätzung von Bonner Abgeordneten aller Fraktionen, daß sich die Bauarbeiten im Spreebogen und der Umbau des Reichstages mindestens acht Jahre lang hinziehen werden. Erst dann sei die Arbeitsfähigkeit des Parlaments hergestellt, urteilt der SPD-Baufachmann Franz Müntefering. Nicht nur seine Fraktion stimmte ihm zu, auch in der CDU kann man sich diesen Zeitplan vorstellen. Das ist um Jahre später, als es der Pro-Berlin-Beschluß im Juni letzten Jahres vorgesehen hat. Noch ein paar Jährchen länger wird die zweite Ausbaustufe dauern, mit der die sogenannte „volle Funktionsfähigkeit“ des Parlaments hergestellt werden soll, was heißt: Arbeitsbedingungen, wie es sie in Bonn geben wird, sobald dort der neue Plenarsaal plus neuem Bürogebäude fertiggestellt ist. Dann wird jeder Abgeordnete für sich und seine Mitarbeiter 72 Quadratmeter Bürofläche zur Verfügung haben — in Bonn sind es heute im Schnitt nur 54 Quadratmeter.

Nicht nur das Parlament kommt nach Berlin, sondern auch eine Reihe von Ministerien oder zumindest deren Spitzen. So wollen die Ministerien für Inneres, Wirtschaft, Finanzen sowie das Auswärtige Amt in die Altstadt ziehen, und zwar auf die Spreeinsel im Ostteil der Stadt, wo sich die Hinterlassenschaften des DDR-Regimes befinden: Das Gebäude des Zentralkomitees, das vor dem Krieg Sitz der Reichsbank war, der Palast der Republik, in dem die Volkskammer der DDR tagte, und der häßliche graue Kasten des Außenministeriums, das nach allgemeiner Einschätzung abgerissen werden sollte. Dort soll übrigens zunächst einmal die Abteilung der Berliner Kripo untergebracht werden, die sich mit Regierungskriminalität befaßt — die der DDR, versteht sich. Auch der Bundespräsident möchte in die historische Altstadt: Er will im Kronprinzenpalais Unter den Linden residieren. All dies zusammen soll sich auf schätzungsweise 200.000 Quadratmetern neuerbauter Bürofläche ausbreiten — ein gewaltiges Konfliktpotential mit der verbliebenen ortsansässigen Bevölkerung.

Aber vielleicht, so unken manche, wird es Berlin so ergehen wie einst Florenz: Italienische Fürsten hatten einst die Arno-Stadt zur Hauptstadt ausgebaut, waren aber nie dorthin gezogen. Nun verfügen die Florentiner über prächtige Gebäude und hervorragende Infrastruktur — ohne jedoch die Belastungen ertragen zu müssen, die eine Hauptstadt mit sich bringt.