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Prügel-Wochenende in Leipzig

Gewalt nach Antifa-Demonstration in Leipzig: Bundesgrenzschutz geht gegen Vermummte vor/ Aufmarsch der rechten „Nationalen Offensive“ ohne Zwischenfälle  ■ Aus Leipzig Nana Brink

Als Eberhard Gemkow, Leipzigs christdemokratischer Ordnungsdezernent, Samstag nachmittag in sein Auto steigt, stehen ihm die Schweißperlen auf der Stirn. „Es wird schon alles friedlich. Wir sind eine offene Stadt“, beruhigt er die Schaulustigen am Connewitzer Kreuz und blickt fast bittend auf die versammelten Demonstranten, unter ihnen etwa zwei Dutzend Vermummte. 2.000 zumeist Jugendliche sind dem Aufruf von lokalen Antifa- Gruppen, der Gewerkschaft und der Kirche gefolgt. Sie marschieren am Internationalen Tag gegen Rassendiskriminierung durch Connewitz in Richtung Innenstadt. Die Demonstration endet friedlich. Als die Polizei dann einen Vermummten aus der sich zerstreuenden Versammlung „lösen“ will, fliegen die ersten Steine. Eine übernervöse Polizei statuiert ihr Exempel: Der Platz wird mit Wasserwerfern und unter Schlagstockeinsatz geräumt.

Beim Gerede über „seine offene Stadt“ ist Eberhard Gemkow nicht wohl in seiner Haut: Zwei Stunden nach der Demonstration linker Gruppen hat sich die rechtsradikale „Nationale Front“ unter dem Deckmantel einer „Anti-Drogen-Demo“ zum Aufmarsch angesagt. Zu allem Überfluß weilt der Direktor des Jüdischen Weltkongresses in der Stadt. Um ihm keine gröhlenden Neonazis „zuzumuten“ und da man ja weiß, „wie die von rechts wie links zuschlagen“, hat die „weltoffene Metropole“ dichtgemacht: Keine Kundgebung in der Innenstadt, drei Hundertschaften Bundesgrenzschutz (BGS), Sondereinsatzkommandos (SEK) und die gesamte Leipziger Polizei nebst Schützenhilfe aus Halle und Dresden stehen in den Stiefeln. An diesem Tag sind insgesamt 900 Polizeibeamte im Einsatz.

Schon während der Antifa- Demonstration ist die Stimmung durch starkes Polizeiaufgebot und anheizende Parolen wie „Nieder mit der Nazipest, ob Ost, ob West“ geladen. Während der Großteil der Jugendlichen friedlich hinter dem Plakat „Keine Überdosis Deutschland“ marschiert, schießen etliche Dutzend Vermummte immer wieder Leuchtstoffraketen ab. Mit quietschenden Reifen rast der Wagen der Einsatzleitung immer wieder die Demonstration ab und läßt die BGSler in ihren Kampfanzügen Spalier laufen. Ein Polizeihubschrauber kreist ständig über dem Geschehen. Als ein Greiftrupp des SEK nach Ende der Kundgebung einige Vermummte umzingelt und sich einen jungen Mann herausgreift, ist die Initialzündung da: Von der gegenüberliegenden Seite des Platzes geht ein Steinhagel auf die Polizisten nieder. Sofort fahren drei Wasserwerfer aus den Seitenstraßen. Blitzartig riegelt der BGS mit Nebelwurfkörpern und brutalem Schlagstockeinsatz den Platz ab. Nach zwanzig Minuten ist er geräumt. Nach Polizeiangaben werden neun Jugendliche vorläufig festgenommen und 17 Beamte leicht verletzt. Augenzeugen zählen mindestens ein Dutzend Demonstranten mit Platzwunden und Prellungen. Die Polizeiführung begründet ihren Einsatz mit der „Pflicht, Vermummte aus der Kundgebung herauszulösen“. Warum sie dies erst nach Ende der Kundgebung versuchte, erscheint einigen Polizeibeamten nicht recht plausibel. „Die Polizeiführung hat einfach falsch reagiert“, so ein junger BGSler, „es hat sich doch schon alles friedlich zerstreut“.

Unterdessen formiert sich ein paar Kilometer von Connewitz entfernt, das weiterhin unter Polizeibeobachtung steht, die „Nationale Offensive“ vor dem Dimitroff- Museum. Statt der angekündigten 500 stehen allerdings gerade mal 250 in Erwartung ihrer Führer auf den Stufen des Museums stramm. Daß die offiziell als „Anti-Drogen- Demo“ angekündigte Kundgebung der Neonazis an diesem Ort, dem ehemaligen NS-Reichsgericht, zugelassen wurde, zeugt nicht gerade von der so gern zitierten Leipziger „Weltoffenheit“. Die versammelten Rechtsradikalen der Leipziger „Deutschen Front Connewitz“ und der Hamburger „Nationalen Liste“ ignorieren die Auflagen des Ordnungsamtes, das ihnen jegliche „politische Agitation“ untersagt hat. Hauptredner Christian Worch von der „Nationalen Liste“, eingerahmt von einigen Dutzend Reichskriegsflaggen, wird allein von seinen Getreuen unterbrochen, die in strömendem Regen ihre Arme zum Hitlergruß in die aufgebauten Kameras recken. Da sich kein Linker blicken läßt, schreien sie ihr „Rotfront verrecke“ der Hundertschaft des BGS entgegen, die den Platz vor dem Museum abgeriegelt hat. Nach Ablauf der Kundgebung rollen sie ihre Fahnen ein und ziehen unter Polizeibegleitung gröhlend in Richtung Hauptbahnhof. Zu Zwischenfällen kommt es nach Polizeiangaben nicht.

Nein, es sei alles sehr unglücklich gelaufen, stöhnt Leipzigs Ordnungsdezernent nach diesem Tag. Leipzig erlebte nicht zum erstenmal plärrende Rechtsradikale, aber zum erstenmal heftige Auseinandersetzungen zwischen linken Demonstranten und Polizei. Mittlerweile regt sich auch beim Kreisverband Bündnis 90/Grüne das schlechte Gewissen. „Wir haben den Tag einfach verpennt und sind erst wachgeworden, als die Rechten schon ihre Demo angemeldet hatten“, gibt Susanne Knoharfki-Huniat vom Vorstand zu. An der Demonstration der Linken konnte sich das Bündnis 90/Grüne nicht beteiligen: „Wir haben zu wenig Leute.“ Während die Polizei als Erfolg verbucht, die „Streithähne“ getrennt gehalten zu haben, strahlt der Mitteldeutsche Rundfunk Bilder einer Straßenschlacht übers sächsische Land: „Vermummte toben auf Leipzigs Straßen.“ „Wir haben uns an die Buchstaben des Gesetzes gehalten“, so ein Polizeisprecher. Sein Resümee des Tages: „Vermummung ist ein Straftatbestand, Ausländer- raus-Rufe nicht.“

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