Aufgeben kommt nicht in Frage

■ In Potsdam sind 63,2 Prozent der Arbeitslosen Frauen/ Im Dschungel der Sozialgesetze sind unzählige Fördermittel und Zuschüsse versteckt/ Die Vereine, die arbeitslose Frauen beraten, richten das Selbstbewußtsein der Betroffenen auf

Potsdam. Es ist wie bei Mozart: Unter rauhen Kriegerscharen, große Bärte, viel Gefahren, mit der Flinte, mit dem Degen, fest im Schritte, Blick verwegen, mit dem Helm auf diesem Scheitel, trotz der Ehr kein Geld im Beutel.

Männer sind in diesen Tagen zwar auch nicht gerade auf Rosenblätter gebettet, aber all die protestierenden Professoren und Werftarbeiter können nicht darüber hinwegtäuschen, daß sie es besser verstehen als Frauen, ihre Ansprüche durchzusetzen.

Im Februar stellten Frauen satte 63,2 Prozent der Arbeitslosen in Potsdam. Hannelore Philipp gehört nicht dazu. Philipp war früher Professorin für Philosophie. Nachdem sie gefeuert worden war, trat sie dem Landesverband der Arbeitslosen bei und berät seit März 91 arbeitslose Frauen im Familientreffpunkt in der Potsdamer Charlottenstraße 104.

Rosemarie Eichler hat sich die »typisch weibliche Bescheidenheit« bereits selbst abgewöhnt. »Frau Eichler ist uns zu aggressiv«, wies ein Vermieter sie ab. Rosemarie Eichler sucht seit drei Monaten eine Unterkunft für ihren Verein »Frauen in der Lebensmitte«. Vergeblich. Aggressivität weist sie als Charaktermerkmal entschieden von sich, »aber früher hätte ich gesagt: ‘könnte ich, wäre es vielleicht möglich...‚ Heute sage ich einfach, was ich will.« Die Zeiten, wo sie als demütige Bittstellerin auftrat, sind vorbei.

Rosemarie Eichler berät den Verein Frauen in der Lebensmitte, der arbeitslosen Frauen ab fünfzig Jahren bezahlte Arbeit in staatlich geförderten Projekten sichern soll. Die zutreffende Beschreibung ihrer vornehmlichen Tätigkeit gilt auch für die Arbeit von Hannelore Philipp: »Finktöpfe ausgraben.«

Wer will die Fördermittel, Zuschüsse und sonstigen finanziellen Wohltaten aufzählen, mit denen Politiker ihr Wahlvolk beglücken? Unendlich, unendlich ist die Liste. So hatte Ulf Fink als früherer Vorsitzender der CDU-Sozialausschüsse die gute Idee, sogenannte »Finktöpfe« aufzustellen, die die kargen Mittel von Studenten auf 800 Mark monatlich aufstocken sollten. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß so ziemlich jede Gruppierung, in die die 23 Millionen Menschen in den neuen Bundesländern aufgeteilt werden können, irgendeinen Anspruch auf finanzielle Zuwendung haben. Da Bund und Länder sparen müssen, ist es wichtig, daß möglichst wenig von diesen Geldern abgefordert wird. Dafür sind dann die Behörden vor Ort zuständig.

Da sich finanzielle Ansprüche im bundesdeutschen Sozialgesetzdschungel ausgezeichnet verstecken lassen, erfuhr Rosemarie Eichler nur durch Zufall von der Existenz der »Finktöpfe«. Anfragen beim Sozialamt und -ministerium brachten keine konkreten Ergebnisse. Von »Finktöpfen« hatte noch nie jemand gehört. Schließlich brachte sie heraus, daß eine ausgelagerte Amtsstelle, die den ominösen Namen Programmzentrale trug, in der Heinrich-Mann- Allee Nr. 103 zuständig war. Was anschaulich die schlaue Strategie zur Vermeidung zu großer Auszahlungen verdeutlicht. Man verbanne das zuständige Amt möglichst weit in die Pampa, gebe ihm einen unverfänglichen Namen und ganz besonders kein Telefon und statte es mit Beamten aus, die sich Verdienste durch ihre Maulfaulheit erworben haben — Große Bärte, viel Gefahren.

Eichler fand die Programmzentrale schließlich im hintersten Winkel eines riesigen Armeegeländes. Zu erreichen nur über den Horstweg. Ihr höflich vorgetragenes Begehren »Ein Formular bitte« wies der Beamte mit den schlichten Worten ab: »Dafür habe ich keine Weisung«. Moralisch aufgerichtet von einem Dozenten: »Der braucht keine Weisung, wenn sie einen Anspruch haben«, kam Rosemarie Eichler schließlich doch noch zu Formular und Geld. Seit dieser Zeit, gehört das Ausgraben von »Finktöpfen« zu ihrer Hauptbeschäftigung. Was von den Behörden nur als glatte Unterwanderung aufgefaßt werden kann.

Eichler war über zehn Jahre technische Assistentin in der Akademie der Wissenschaften, bevor sie zwei Tage vor der deutschen Einheit entlassen wurde. Den folgenden Depressionen räumte sie keine unnötige Zeit ein und belegte einen Kurs in Sozialmanagement, der ihr die Mittel an die Hand gab, um sich im bundesdeutschen Zivil-, Arbeits- und Sozialrecht durchzufinden. Seit November berät und organisiert sie den Verein Frauen in der Lebensmitte.

Eichler und Philipp kämpfen, jede für sich, einen heroischen Kampf. Rosemarie Eichler rennt von Pontius zu Pilatus, um Geld aufzutreiben für Projekte wie einen Kinderservice, wo Frauen eine Art Ersatzgroßmutterfunktion übernehmen, oder einen Näh- und Ausbesserungsservice für sozial Schwache. Bedenkt man, wie viele Frauen in der DDR qualifizierten Berufen nachgingen, dürfte das auch nicht gerade der Traum einer Arbeitslosen sein. »Bei uns werden Diplompädagoginnen qualifiziert zu Zimmermädchen«, gibt Rosemarie Eichler unumwunden zu. Aber alles sei besser, als zu Hause rumzusitzen.

Die Arbeitslosenberatung von Hannelore Philipp erschöpft sich weitgehend darin, die geknickten Frauen mit genügend Selbstbewußtsein auszustatten, daß sie wenigstens ihre Sozialhilfe abholen. Wenn jemand ein Vorbild sucht, für energisches Auftreten, bietet Hannelore Philipp ein anschauliches Beispiel.

Philipp und Eichler haben einen Blick für die niederschmetternde Realität, sind jedoch mit einem energischen Pragmatismus ausgestattet, der es ihnen nicht erlaubt aufzugeben. Und wenn es nur darum geht, noch ein Jahr über die Runden zu bringen — bloß nicht in Lethargie versinken. Anja Seeliger