Heiliger Heiner

Dimiter Gotscheff inszeniert Heiner Müllers „Auftrag“ in Köln  ■ Von Gerhard Preußer

Damda da da dä dä deee dada — was war das doch gleich? Wie ging die Melodie? Ach ja, die Marseillaise. Gleichheit, Brüderleichkeit, Freizeit; Guillotine, Kopf ab, bum aus, Danton. Und der andere? Der Wiehießerdennoch? Tarzan? Peter der Große? Petersilie? Rotkäppchen? Robespierre?

Die Revolution als Kalauer. Zwei rotzdumme Clowns mit roten Kugelnasen veralbern krückenschwingend die Erinnerung an eine Revolution. Heiner Müllers Text wird den karnevalistischen Krawallbrüdern Robespierre und Danton über Lautsprecher souffliert. In ihrem improvisierten Gebrabbel machen sie sich über den Autor lustig: „Is das von Müller? Is ja unglaublich, der Müller!“

Mit einer kleinen Umstellung hat Regisseur Dimiter Gotscheff die Distanz zur Revolution vergrößert. Das parodistische Rededuell der beiden Protagonisten der Französischen Revolution stellt er aus der Mitte des Stückes an den Anfang. Seit Müller das Stück 1979 schrieb, hat sich unser Blick auf die Revolution radikal geändert. Es hat eine Revolution stattgefunden, die jeden Gedanken an eine Revolution lächerlich macht. Erinnerung ist peinlich, lachhaft. Vergessen ist die nachrevolutionäre Tugend.

Heiner Müllers Stück benutzt als Handlungsgerüst eine Erzählung von Anna Seghers: Drei Emissäre des französischen Konvents kommen nach Jamaika mit dem Auftrag, dort eine Sklavenrevolte zu organisieren. Doch dort erfahren sie, daß ihr Auftrag hinfällig ist. Das Direktorium ist aufgelöst, Napoleon hat sich zum Kaiser gekrönt. Diese Posse vom verlorenen Auftrag benutzt Müller für eine Reflexion des Verhältnisses von weißer, europäischer Revolution und farbiger Revolte der Dritten Welt. Die bürgerliche Revolution ist hier nur das Modell für die sozialistische. Was für Müller 1979 anstand, Abschied von der Identität als Sozialist, ist heute ein Massenphänomen. Ex-Revolutionäre ohne Auftrag gibt es an jeder Straßenecke in Berlin und Sachsen: Spitzel ohne Führungsoffizier, Kader ohne Kontrollkommision, Nr.1 ist flüchtig. Schließlich hat man schon SED-ZK-Sprecher Schabowski den Monolog des Mannes im Fahrstuhl aus Müllers Auftrag sprechen lassen.

Bis auf die Zirkusclownerie des Anfangs enthält sich die Kölner Inszenierung jedoch jedes aktualisierenden Eingriffs. Nach dem Klamauk folgt die Totenfeier, das Hochamt des Revolutionsgedächtnisses. Alles toternst, keine weiteren Stilbrüche. Auf einem schwarzen Laufsteg in der Mitte der schwarz ausgeschlagenen „Schlosserei“ des Kölner Schauspielhauses treten die Figuren auf, spreizen ihre Körper und ihre Wortgewänder und gehen wieder ab. Die Zuschauer sitzen sich in zwei Gruppen gegenüber wie im Chorgestühl an den Seiten des Altars. Links und rechts an den Enden des Raumes werden, hinter Rillenglas verschwommen, die Toten sichtbar. Auf der einen Seite unsere heutigen, mit bunten Kleidern, Uniformen, Totenköpfen wie im Wachsfigurenkabinett, dem säkularisierten Reliquienschrein, auf der anderen Seite die archaischen Toten der Vorzeit: zwei Masken aus Maschendraht.

So eingerahmt von Lebenden und Toten zelebrieren die Schauspieler ihren Text: feierlich zerdehnt wie heilige Worte. Kaum wird je der Versuch gemacht, den Text mit Bildern zu kommentieren (wie das Wilfried Minks bei der westdeutschen Erstaufführung in Frankfurt 1980 und Heiner Müller selbst bei seiner Eigeninszenierung in Bochum 1982 bis zum Exzeß vorgeführt haben). Ernst August Schepmann spricht den Monolog des Mannes im Fahrstuhl, einen kafkaesken Traumtext, den Müller in das Stück montiert hat, nur in ein weißes Tuch gehüllt, darin eingeschnürt, sich darin verbergend, sich daraus befreiend: eher ein Märchenonkel als ein gehetzter Bürokrat. Traute Hoess kommt als „erste Liebe“ im blutfleckigen Unterkleid mit Reifrockgestänge auf den Laufsteg, drei Männerpüppchen unterm Arm. Sie turnt ihren Text vor wie auf dem Schwebebalken. Die drei Revolutionäre formieren sich zum Gruppenbild von Herr, Knecht und Aufseher: Debuisson (Matthias Leja), der Plantagenerbe, auf den Schultern Sasportas' (Bernd Grawert), des schwarzen Sklaven, geführt von Galloudec (Stefan Jürgens), dem bretonischen Bauern. Was sie hier nur zur Tarnung mimen, waren sie früher wirklich und werden es wieder sein nach dem Ende der Illusion von einer Revolution. Und immer wieder huscht der „Engel der Verzweiflung“ (Almut Zilcher) über den Steg und sieht von oben herab auf das Geschehen, ein überirdisches Rätselwesen mit dunklem Raubvogelfittich.

Synthesis des Politischen und des Sakralen, Revolution der europäischen Zivilisation durch Reintegration des Todes in das Leben — diese Theoreme der Müller-Exegese spuken im Inszenierungskonzept. Aber auf dem schmalen Bühnensteg bleibt davon wenig mehr als: kunstvolle Monotonie und strenges Pathos.

Heiner Müller: Der Auftrag — Erinnerung an eine Revolution. Kölner Schauspiel (Schlosserei). Regie: Dimiter Gotscheff. Bühne: Jens Kilian. Weitere Vorstellungen: 27. und 28.März; 1., 10., 12., 17. und 28.April.