Der Regierungschef hält hof

Kohl besticht durch geballte Ladung Floskeln und Maßhalteappell an Tarifpartner/ Keine Kürzung der Sozialleistungen und keine Steuererhöhungen/ Kanzler berät Landeskabinette nicht ungefragt  ■ Aus Bonn Tissy Bruns

Helmut Kohl ist nach seinem Besuch bei George Bush optimistisch, daß es bald zu einer Einigung über die strittigen Agrarfragen bei den GATT- Verhandlungen kommen wird. Und nicht minder zuversichtlich sieht der Kanzler der deutschen Zukunft ins Auge. Für runde Tische, gar eine große Koalition, wie sie von SPD- Geschäftsführer Karlheinz Blessing jüngst ins Spiel gebracht wurde (vergleiche Meldung auf Seite 5), sieht er keinen Grund — nicht nur, weil die Regierung ohnedies ständig mit allen redet, sondern vor allem, weil das Konzept der Koalition stimmt.

Auf einer kurzfristig angesetzten Pressekonferenz informierte Kohl zunächst über seine Gespräche in Washington. Nach dem Flug über die Themen und Termine der Weltpolitik — GATT, Umweltkonferenz in Rio, Münchner Weltwirtschaftsgipfel, Kontrolle über das Waffenarsenal der ehemaligen Sowjetunion — nahm Kohl zu wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen Stellung, die in den letzten Wochen für innenpolitischen Diskussionsstoff gesorgt hatten. In den alten Bundesländern sieht Kohl eine „Konsolidierungsphase“. „Nach einer starken Expansion in den vergangenen Jahren hat sich das Wirtschaftswachstum verlangsamt.“ Allerdings seien „die Verteilungsspielräume enger geworden“. Kohl wiederholte, 1992 sei kein Jahr „für Verteilungskämpfe und Anspruchsdenken, sondern ein Jahr der Vorsorge für Wachstum, für Arbeitsplätze und für Stabilität“. „In dieser Situation sind die Tarifpartner besonders gefordert.“ In den neuen Bundesländern gehe es in puncto Industrieproduktion nach dem Tiefpunkt „langsam aufwärts“. Angesichts der um 55% höheren Lohnstückkosten im Osten sei es aber Aufgabe der Tarifpartner, „Produktivität und Lohnhöhe stärker als bisher in Übereinstimmung zu bringen“.

Mit über 100 Milliarden Mark staatlichem Transfer Richtung Osten, wobei der Länderanteil von 12 Milliarden „vergleichsweise bescheiden“ ausfiele, sei die Grenze der finanziellen Leistungsfähigkeit erreicht. An Kürzung der Sozialleistungen denke seine Regierung jedoch ebensowenig wie an neue Steuererhöhungen. Überhaupt verspricht sich der Kanzler von der ab Mitte April vor uns liegenden wahlfreien Zeit, die bis Ende 1993 reicht, die schwierigen Fragen in Ruhe angehen zu können. Dazu zählen die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern, die Unternehmenssteuerreform, die Maastrichter Verträge ebenso wie die Pflegeversicherung.

Mehr Abstimmung zwischen Regierung und Opposition und Tarifparteien zu kommen, wie es der SPD-Vorsitzende Engholm gefordert hatte, sei überflüssig. Alle acht Wochen fänden ohnehin die Runden mit Wirtschaft und Gewerkschaften, bei vielen Gelegenheiten Gespräche mit den Länderministerpräsidenten statt: „Das ist doch nicht neu.“ Im übrigen käme es darauf an, „handlungsfähig“ zu sein. Das Konzept der deutsche Einheit brauche vieleicht „diese oder jene Korrektur“. Aber: „Der Weg hat sich im großen und ganzen doch als richtig erwiesen.“ Helmut Kohl kann die Annahme, daß man „ohne das Hilfsaggregat der SPD nicht weiterkommt“, ganz und gar nicht nachvollziehen. Befragt nach Mecklenburg-Vorpommern und den Schwierigkeiten des neuen Ministerpräsidenten mit den Personalfragen, bemerkte Kohl gelassen: „Ich habe noch nie in eine Kabinettsbildung eingegriffen.“ Er gäbe nur gelegentlich Rat, wenn er danach gefragt werde.