VILLAGE VOICE
: Kerben in die Gesetze des Rock 'n' Roll

■ Kunstrock oder mehr? Fleischmann: »The Power Of Limits« (Noise International Records)

Normalerweise gilt die Auflösung von Widersprüchen in der Musik als höchste harmonische Tugend. Fleischmann strafen diese Lehre Lügen. Vor drei Jahren galten sie noch als aussichtsreiche Krachmacher im Lärmallerlei des Berliner Untergrunds, nun ist die Formation zum Trio geschrumpft und hat ihre erste Platte bei Noise (!) International herausgebracht. Allein der Name trügt: Die Plattenfirma gilt als erlesenes Label in Sachen Mainstream-Metal für den Motorradfreak von nebenan, zu dem sich Fleischmann dann aber verhalten wie Blixa Bargeld zu »Country & Western«-Schmus — voller Liebe und Leidenschaft, die zuerst nur im Kopf funktioniert, mit der Zeit aber auch das Herz erwärmt. Selbst Beton wird ja unter der Abrißbirne und dem Preßlufthammer mürbe, mit der Zeit.

Unbeirrbar stoisch schlagen Fleischmann auf The Power Of Limits mit dreizehn weitgehend instrumentalen Kompositionen Kerben in die ehernen Gesetze des Rock 'n' Roll. Dafür nutzen sie den toten Winkel aus, der sich zwischen allen Spielarten des Crossover, Hardcore und Thrashmetal gebildet hat. Schon der Kick auf die Baßdrum, mit dem sonst die Maschinerie im Viervierteltakt angetrieben wird, lahmt und hinkt nach einem ausgeklügelten Plan des Schlagzeugers und Hauptkomponisten Martin Leeder, der seine Einflüsse in der Zwölftonmusik von Arnold Schönberg sieht — statt bei Motorhead und Slayer. Das Trio reizt kaum die handwerkliche Fülle ihrer formalen Mittel aus, sondern arbeitet lieber »auf das Wesentliche beschränkt« (Leeder). Karg, aber mit ungeheurer Wirkung.

Der Song Sick Water bastelt mit minimalem Aufwand eine Bilderwelt zusammen, die so vielleicht zuletzt in der Programmusik um die Jahr

hundertwende zu finden war. Bereits mit den ersten offenen Akkorden der Gitarre entsteht eine anachronistische Schwere, mit der die Band während der folgenden fünf Minuten über den Rhythmus watet — vorwärts mit gesenktem Blick, in dem unzählige Wünsche enthalten sind, die sich dann mit dem nächsten Break oder Übergang auflösen. Die Stimmung reißt die Phantasie immer wieder zu Boden, die Musik verlangt honeggersche Strenge und schostakowitsche Disziplin.

Mitunter dehnt die Band Spannungsbögen unermeßlich aus. Seewolf beginnt mit tauben Gitarrenklängen, deren Obertonfiepen so schwer zu knacken ist wie eine Pekan-Nuß. Die Melodie zerbricht daran in tausend Stücke, die sich nach mühevoller Kleinarbeit im Verlauf des Liedes wieder einfinden. Bis es erneut fiept. So entstehen »organlose Körper« (remember Deleuze/Guattari?), deren Architektur Fleischmann freilegen. Blankgespielte Skelette.

Stellenweise macht die Dynamik der expressiven Konfusion nicht einmal vor den eigenen musikalischen Fähigkeiten halt. In Becquerel donnern Baß und Schlagzeug anfangs über eine wunderbar jazzige Melodielinie hinweg, doch schon bald kriecht der Baß, scharrt nervös im Rhythmusteppich, bis selbst die präzise Perkussion über ihre Einfachheit stolpert, wie ein Tausendfüßler über den ihm bestimmten ebenmäßigen Gang. Alle stemmen sich gegen das Klanggewebe, kein Musiker läßt Boden unter den Füßen. Am Ende macht der Gitarrist mit einem motorischen Fingersatz Frieden. Trotzdem schließt der Song im AutoDAFé einer stumpfen Sequenzertonfolge.

Nichts bleibt bestehen, nicht einmal die Band als organisiertes Ensemble. Das wird besonders dann spürbar, wenn Fleischmann Tomorrow Never Knows der Beatles covern, ein Stück, das bis ans Delirium grenzend den immergleichen G- Akkord wiederholt. Auch Fleischmann finden unendlich viele Nuancen zwischen Autonomie und Autismus im Stillstand des alten Drogensongs. Den Ruf einer Kunstrockband, der dem Trio vorauseilt, nimmt die Gruppe gelassen. Auch King Crimson waren einmal an diesem Punkt angelangt, als sie mit Starless And Bible Black 1974 eine völlig vertrackte und unzugängliche Platte in derselben Minimalbesetzung von Baß, Schlagzeug und Gitarre aufnahmen. Damals hieß eines der exemplarischen Stücke Fracture, Bruchstelle. Ähnliches haben Fleischmann nun in den drögen Berliner Rockalltag hineingespielt. Angeblich können sie das sogar live. King Crimson und die Beatles konnten es nicht. Harald Fricke