Die Hose ernstgenommen

Wie der Mann sich verpackt — von der Steinzeit bis heute  ■ Von Sabine Lange

Revolution? Louis Philipp fortgejagt? Republik?“ Metternich ist entsetzt, als ihn die Nachricht von der Pariser Februarrevolution erreicht. Einen Atemzug später donnert er seinen Diener an: „Bringen Sie mir ein Paar andere Hosen!“ Und wechselt flugs seine knielangen Culotten gegen die knöchellangen Pantalons. Die Hose als Ausdruck der politischen Gesinnung.

Zwar wird sich dieser Vorfall nicht ganz so zugetragen haben, wie es der Karikaturist Andreas Achenbach 1848 zeichnete. Aber Wahrheit steckt darin: Kleidung spiegelt den Zeitgeist wider. Da bildet die Hose keine Ausnahme, allerdings noch weit mehr ab — nämlich die Beziehung zwischen Mann und Frau, ihre (Macht-)Stellung zueinander: so Gundula Wolters These in ihrer Kulturgeschichte der Hose. Das Beinkleid symbolisiert über Jahrhunderte, Jahrtausende die Vormachtstellung des Mannes der Frau gegenüber. Vorausgesetzt, er hat die Hose an. Denn ohne gilt er als schwach, wenn nicht gar impotent. Gelangt die Hose in Frauenhand, so hat die Gattin das Sagen. Karikaturisten wie Honoré Daumier nahmen dies Beziehungsspiel schon Mitte des vorigen Jahrhunderts aufs Korn. Da betteln Männer in Unterhosen ihre Frauen an, sie mögen doch wenigstens den Knopf annähen („Ich kann nicht ohne das aus dem Haus!“). Und als es die Frauen wagen, selber Hosen zu tragen, empören sich die Männer und wettern gegen die „Attacke auf ihre geheiligten Rechte“. Das war im Viktorianischen Zeitalter. Inzwischen geht die Hose ihrem Ende entgegen — zumindest als geschlechtsspezifisches Kleidungsstück.

Das Einführungskapitel schreibt Gundula Wolter so engagiert, daß man sich fragt, weshalb man sich nicht schon längst mit dem Phänomen Hose auseinandergesetzt hat. Es macht Lust auf Weiterlesen. Doch schon in der Steinzeit setzt die Autorin dann auf Seriosität. Sie will kein Kuriositätenkabinett bieten. Sie nimmt die Hose ernst. Und drosselt ihren vorher schwungvollen Stil auf Sachbuchebene. Sie arbeitet gründlich, zitiert viel und reiht unterschiedlichste Theorien aneinander. Daß sie dabei einige Fragen nicht stellt, einige Gebiete außer acht läßt, kann man begrüßen oder ablehnen. Je nachdem, ob man einen Überblick erwartet (den bekommt man) oder ein Kompendium mit Anspruch auf Vollständigkeit (das bekommt man nicht). Über außereuropäische Hosenkultur zum Beispiel erfährt der Leser so gut wie nichts. Fragen bleiben offen: Weshalb gilt gerade die Hose als Zeichen für Dominanz? Weil sie mehr Schutz bietet als ein Rock? Wann fangen Frauen an, in die männliche Domäne einzudringen, und zwar nicht, indem sie das Flicken verweigern, sondern indem sie selber Hosen anziehen? Es gleicht einem Parforce-Ritt, wenn Wolter übergangslos von der Steinzeit in das Römische Reich springt, von dort in das 14.Jahrhundert und so fort. Freilich, die Lesbarkeit erhöht sie damit. Man kann ihr nicht vorwerfen, sie erschlüge den Leser mit Fakten.

Was hat es auf sich mit dem Wandel der Hose? Unsere Vorfahren kannten sie schon vor 10.000 Jahren. Felsmalereien bestätigen das. Als der Mann anfing, aufrecht zu gehen, da geriet sein Genital an exponierte Stelle: Er mußte sich schützen. Aber nicht allein deshalb legte er sich ein Tierfell um. Er wollte sich auch schmücken, er wollte auch seine Stellung in der Gemeinschaft unterstreichen. Und er glaubte daran, sich Eigenschaften des erlegten Tieres zu eigen machen zu können. Neben diesem magischen Grund nennen Urzeitforscher aber auch ganz praktische. Wird der Penis verdeckt, gibt es keine Streitigkeiten mehr unter den Männern, wer denn wohl am besten ausgestattet sei. Auch dient die Bekleidung dem friedlichen Zusammenleben: Die sichtbare Erektion wird vermieden, den Mann verrät nicht mehr sein sexuelles Interesse. Nicht zu unrecht fragt sich Wolter, ob diese These von der Entsexualisierung der Öffentlichkeit nicht die Projektion unserer Zeitgenossen in die Geschichte sei. Denn eines ist sicher: Wir im 20.Jahrhundert sind nicht die Lockersten, was den Umgang mit der Sexualität angeht.

Man denke nur an die Renaissance, dem „Jahrhundert der Schamkapseln“. Die Schamkapsel (oder „Braguette“) ist eine „Polsterung in der Schamgegend“, Blickfang der extravaganten Mode der damaligen Landsknechte. Ausgestopfte Taschen für den Penis in allen Variationen, mit Sternen und Mondsicheln verziert, in bunten Stoffen, aufreizenden Farben: „Sinnbilder des männlichen Protz- und Potenzgebahrens“. Die Landsknechte — Wolter nennt immer auch den soziologischen Zusammenhang — waren verwegene, saufende, vergewaltigende, kämpfende Außenseiter der damaligen Gesellschaft. Der Krieg war ihr Geschäft. Diese Söldner bestimmten die Mode, sie waren Vorbild für die restliche Männerwelt. Die Betonung des Geschlechts durch die Braguette — Zeichen für ständige Kampf- und Sex-Bereitschaft — wurden übernommen. Zwar gab es gesetzliche Regelungen, die Kleiderordnungen. Aber die verboten nur Luxus und Üppigkeit. Gegen das sittliche Empfinden verstieß die Schamkapsel nicht. Im Gegenteil. Sie galt als so selbstverständlich, daß die Kavaliere sogar Orangen in ihr verwahren, sie vor den Augen der Damen herausholen und diesen anbieten durften. Zu dieser Zeit, so Wolters Erklärung, hatte der Mann sich noch nicht von seinem Körper, seiner Sexualität distanziert.

Erst unter dem Einfluß des sittenstrengen spanischen Hofs verschwindet die Schamkapsel. Nicht länger ist die Assoziation zwischen Braguette und Sex tolerierbar. Im Rokoko lockerten sich die Gebräuche wieder, was Auswirkungen auf die Hose hatte. Schamkapseln gab es zwar keine mehr, dafür aber „Berlocken“ am Hosenlatz, die jeden Schritt mit einem zarten Klingeln begleiteten. Diese Verspieltheit war den Rokokoianern so wichtig, daß die Kunst des Gehens sogar Unterrichtsgegenstand wurde.

Mit Bändern geschmückt, eng oder weit, kurz oder lang, in bunten Farben, aufgeschlitzt und vielfach verziert war die Hose über Jahrhunderte hinweg Spielzeug der männlichen Eitelkeit. Das änderte sich erst bei den Puritanern im 19.Jahrhundert gravierend. Düstere Zeiten für die Phantasie: Der Mann kleidet sich zusehends sachlich, geradezu asketisch. Seine Lebenseinstellung erhebt die Praktikabilität zum ästhetischen Gebot. Das Sexualleben wird weitgehend unterdrückt („Fleischeslust genieße selten!“). Für die Frauen eine Chance: Standen sie bisher im Schatten ihrer aufgeputzten Männer, so ist es nun an ihnen, Schönheit zu demonstrieren. Sie dürfen Farbe bekennen, für den Herrn ziemt sich nur noch Grau oder Schwarz. Da muß sich der Hosenverschluß auf einen diskreten Schlitz beschränken, der sittenstreng von einer Leiste kaschiert wird. Als 1910 durch einen Zufall die Bügelfalte eingeführt wird, ist der Korrektheit keine Grenze mehr gesetzt.

Und wie soll sich der Mann von heute kleiden, wo alles erlaubt ist? Georges Bryan Brummell, berühmter englischer Dandy, gibt den Rat: „Man soll in aller Ruhe sich selbst studieren, die interessanteste, vielleicht die einzig wirklich interessante Bekanntschaft, die ein Mann überhaupt machen kann.“ Und wenn man sich dann erforscht hat und weiß, wie man sich darstellen möchte, dann folgt der Griff zum entsprechenden Beinkleid. Nur eine Farbregel verdient Beachtung, dem englischen Gentleman seit jeher verbindlich: „Never wear brown after six.“

Gundula Wolter: Die Verpackung des männlichen Geschlechts. Eine illustrierte Kulturgeschichte der Hose. Jonas Verlag Marburg, 224Seiten, 28DM.