DEBATTE
: Wo bleibt die Sorgfaltspflicht?

■ Betr: Trauerunfähigkeit der deutschen Linken — ein Plädoyer von einem, der mit seiner eigenen politischen Vergangenheit nicht hadert

In der taz vom 23.März hat Ralph Giordano, „ungern“, wie er betont, eine Breitseite gegen „Deutschlands trauerunfähige Linke“ abgefeuert, die aber fast ausschließlich gegen mich gerichtet war, was ihm, so schreibt er, weh tat; schließlich „kennen wir uns seit dreißig Jahren...“ Doch was blieb ihm anderes übrig, als dann, noch vom Pulverdampf umnebelt, loszupreschen und mit dem Säbel auf mich einzuschlagen? Er hatte das Signal vernommen, und da gab's kein Halten mehr, zum Beispiel, um bei mir nachzufragen, ob er sich vielleicht irre. Was tat's, daß er selbst zum Sturmangriff geblasen hatte — schon vor zehn Tagen im 'Spiegel‘, was mir entgangen war. Inzwischen weiß ich: Er wirft mir „lebenslange Entsolidarisierung“ mit den Opfern des Stalinismus vor!

Dreißig Jahre freundschaftliche Kollegialität sind offenbar nicht genug. Kennten wir uns schon fünfundvierzig Jahre, wüßte Ralph Giordano, daß ich damals, zusammen mit Eugen Kogon, zu den wenigen gehört habe, die aufgrund ihrer eigenen KZ-Erfahrungen öffentlich gegen den stalinistischen Terror aufgetreten sind, „Freiheit für Hermann Josef Flade“, einen in der DDR zum Tode verurteilten Jugendlichen, forderten, Versammlungen abhielten, im Rundfunk sprachen. Aber damals war Ralph Giordano — und ich mache ihm, im Gegensatz zu ihm selbst, daraus keinen Vorwurf — noch Mitglied jener KPD, für deren Opfer westdeutscher Gesinnungsjustiz ich ebenfalls eintrat. Er hätte damals dennoch nicht mit mir geredet und dies zu Recht: Kogons und meine Weggefährten im Kampf gegen den Stalinismus waren nämlich, wie wir zu spät merkten, leider altgediente Profis, zum Beispiel jener Dr.Eberhard Taubert, der zuvor nicht nur „Antikomintern“-Chef im Goebbels-Ministerium gewesen war, sondern auch verantwortlich für den Hetzfilm Der Ewige Jude. Als ich mit Taubert und Konsorten nichts mehr zu tun haben wollte, ließ mich das gesamtdeutsche Ministerium zur Strafe Tausende von mir in seinem Auftrag bei der Bundesdruckerei bestellte antistalinistische Plakate selbst bezahlen, gnädigerweise in Monatsraten, jahrelang... Aber das sind zugegebenermaßen olle Kamellen (obwohl der Vorwurf „lebenslanger Entsolidarisierung“ eigentlich noch weit ältere einschlösse, etwa jene Rettungsaktion, für die ich zweimal in Gestapohaft und dann ins KZ kam). Es geht Ralph Giordano ja um Dinge jüngeren Datums, um meine „Flirts vom westlichen Balkon“ mit östlichen Apparatschiks unter angeblicher Negierung der Leiden ihrer Opfer.

„Wandel durch Annäherung“ — ein nicht geführter Streit

Nun könnte man im Rückblick zwar durchaus darüber streiten, ob der von mir — aber wahrlich nicht von mir allein — angestrebte „Wandel durch Annäherung“ der damals richtige Weg war. Doch darum geht es Giordano anscheinend gar nicht. Er fordert von mir tatsächlich nur „ein einziges glaubwürdiges Dokument“, das meine angeblich „lebenslange Entsolidarisierung mit den Gulag- und Stasi-Opfern durchbricht.“ Dann zöge er, „was Deinen Fall betrifft, Bernt Engelmann, alles zurück.“

Ich wüßte gern, wie Ralph Giordano seine gerade erst millionenfach in 'Spiegel‘, taz und anderen Medien verbreiteten, gelinde gesagt: recht kühnen Behauptungen wieder zurückziehen will, falls es ihm denn damit ernst ist. Zweifel müssen mir erlaubt sein, denn er hätte ja solche Dokumente in nicht unbeträchtlicher Anzahl bei mir einsehen und genau prüfen können, ehe er zwar „ungern“ aber um so heftiger gegen mich öffentlich vom Leder zog.

Ich tue ihm nun aber nicht den Gefallen, hier auszubreiten, was er zuvor nicht sehen wollte, und ihn dann zu fragen: „Reicht das, was Georgij Wladimow oder Vaclav Havel mir da ,mit größtem Dank‘ bestätigen? Ist der Hilferuf dieses Kollegen vom 15.12.1982 überhaupt glaubwürdig, wo es doch darin heißt: ,Seien Sie bitte auch versichert, daß ich dann, bei einem Erfolg, anders zu Ihren West-Ost-Bemühungen stehen würde...‘? Und ist es nicht eher belastend, daß ich mich einmal direkt an Honecker wandte, allerdings auch nach sehr hölzerner Antwort dann nicht locker ließ?“

Nein, ich möchte weder Ralph Giordano noch anderen die Mühe ersparen, selbst ihrer publizistischen Sorgfaltspflicht zu genügen, wenigstens im nachhinein. Ich fürchte aber, Ralph Giordano (und andere) wollen die Fakten gar nicht zur Kenntnis nehmen. Es ist mein Pech, als lebenslang kritischer linker Sozialdemokrat zwar manchen Fehler begangen und an Irrtümern festgehalten, aber keine politische Vergangenheit zu haben, mit der ich hadern, auch keinen inneren Hader, den ich zu Markte tragen kann. Bernt Engelmann

Schriftsteller

Am 19.3.92 veröffentlichten wir an dieser Stelle unter dem Titel „Schüsse an der Trauer“ eine Polemik Freimut Duves gegen Ralph Giordanos 'Spiegel‘-Essay „Die trauerunfähige Linke“; am 23.3.92 folgte unter dem Titel „Öffentliches Schweigen“ eine Replik Giordanos.