„Eine inntertürkische Angelegenheit“

■ Das Auswärtige Amt wartet seit Tagen auf eine Erklärung aus Ankara/ Über Entwicklung in Kurdistan besorgt

Berlin (taz) — „Wenn die türkische Regierung das Gefühl hat, daß sie auf ihrem eigenen Territorium von Gruppen mit terroristischen Mitteln angegriffen wird, dann muß sie natürlich das Recht haben, sich zu verteidigen“, sagte der Sprecher des Auswärtigen Amtes gestern zur taz. Bonn müsse sich da heraushalten und erwäge momentan keinen Stopp der Militär- und Polizeizusammenarbeit oder andere konkrete Schritte. Allerdings beobachte das Auswärtige Amt die Entwicklung „im Südosten der Türkei“ mit „großer Sorge“. Bereits vor Tagen ging ein Brief aus Bonn nach Ankara, worin „wir nochmals darauf hingewiesen haben, daß das Kurdenproblem mit rechtstaatlichen und demokratischen Mitteln gelöst werden muß“. In der Anfrage wollte die Bundesregierung auch wissen, ob es stimme, daß bei dem Vorgehen gegen die kurdischen Neujahrsfeiern am vergangenen Samstag Panzer aus den Beständen der NVA eingesetzt worden seien.

Auf die Antwort aus Ankara wartet das Auswärtige Amt bislang vergebens. Stattdessen mehren sich die Berichte über den Einsatz von NVA- Waffen, die seit vergangenem Jahr massiv in die Türkei geliefert werden. Unter anderem berichteten Mitglieder von Delegationen der Menschenrechtsorganisation „medico international“, sie hätten NVA-Panzer auf den Marktplätzen der kurdischen Orte Cizre und Nüsaybin gesehen. Sollte dies zutreffen, so der Sprecher des Auswärtigen Amtes, sei das „ein Verstoß gegen Bestimmungen im Rahmen des Nato-Vertrages“. Welche Konsequenzen das habe, „müsse man dann sehen“.

Noch zurückhaltender äußerte sich der Sprecher des Verteidigungsministeriums, über dessen Haushalt ein großer Teil der Militärhilfe an die Türkei abgewickelt wird. Er wollte sich überhaupt nicht zu dem Thema „Rüstungszusammenarbeit mit der Türkei“ äußern. In welchem Umfang derzeit Waffen aus der Bundesrepublik in die Türkei unterwegs seien, vermochte der Ministeriumssprecher nicht zu sagen.

Vergeblich warteten auch 18 Europaparlamentarier auf authentische Informationen aus der Türkei. Seit Monaten war für diese Woche ein dreitägiges Treffen mit türkischen Parlamentariern in dem „gemischten parlamentarischen Ausschuß“ der EG geplant. Unter anderem wollten die EG-Parlamentarier dabei auch über die Lage in Kurdistan sprechen. Am vergangenen Freitag kam dann die Absage aus Ankara. Die seltsam anmutende Begründung: Die Türken müßten wegen einer „Haushaltsabstimmung“ in Ankara bleiben.

Die grüne Europaparlamentarierin Claudia Roth, die auch Mitglied der von den Türken versetzten Kommission ist, appellierte gestern in einem Brief an Außenminister Genscher, er möge sich bei der derzeit in Helsinki tagenden KSZE- Nachfolgekonferenz dafür einsetzen, daß das Morden in Türkisch-Kurdistan aufhöre und eine politische Lösung gefunden werde. Sie schlug vor, eine Untersuchungskommission vor Ort zu schicken, die Mitgliedschaft der Türkei im Europarat vorläufig zu suspendieren und das Land vorerst nicht in die EG aufzunehmen.

Warum nun „die Türkei auf die Anklagebank gesetzt werden soll“, leuchtet dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, dem CDU-Politiker Hans Stercken, überhaupt nicht ein. Schließlich sei bei dieser „inntertürkischen Angelegenheit“ eine „Art Revolution ausgerufen worden, die zur Loslösung eines Landesteils führen solle. Wenn Bayern so etwas betriebe, würde man Bonn ja auch nicht auf die Anklagebank setzen.“

Problematisch findet Stercken vor allem die „Übergriffe gegen türkische Geschäfte in der Bundesrepublik“. Dahinter stecke, so der konservative Bundestagsabgeordnete, ein Mißverständnis der „Gastrolle, die man hier in Deutschland zu spielen hat“. Dorothea Hahn