piwik no script img

Italienische Stichprobe

■ Dreitägiges italienisches Filmfest im Kino Arsenal

Bereits zum drittenmal veranstaltet »Tubo Kurvo«, Schöneberger Verein zur Förderung des Kulturaustausches zwischen Italien und Deutschland, ein Filmfest. Unter dem Titel Cinema indipendente italiano werden von heute bis Sonntag im Kino Arsenal Arbeiten von unabhängigen italienischen RegisseurInnen zu sehen sein: Filme unterschiedlicher Formate, Längen, Stilrichtungen, Sichtweisen; eine Auswahl dessen, was 1991 und 1992 auf kleineren italienischen Festivals gezeigt wurde — zusammengestellt von der Turiner Gruppe »Pervisione«.

Die Reihe durchzieht eine Retrospektive mit Filmen von Silvano Agosti (Jahrgang 1938), einem der wenigen international bekannten, unabhängigen italienischen Regisseure. Allroundtalent Agosti schreibt nicht nur Romane und Drehbücher, filmt und schneidet die meisten seiner Filme selbst, sondern leitet außerdem noch ein Kino in Rom.

Die Retrospektive zeigt Dokumente aus Agostis Anfangszeit als Filmemacher: Cinegiornali del movimento studentesco (1968), ein mit wackliger, teilweise versteckter Kamera aufgenommenes Protokoll der Studentenbewegung — jenseits der offiziellen Berichterstattung in den Medien. Nessumo o tutti (Keiner oder alle, 1975) ist eine »klassische« Dokumentation über das Experiment »offene Psychiatrie« in der Provinz Emiglia Romagna. Der Film verzichtet weitestgehend auf Kommentare und konzentriert sich auf die Patienten und ihren Weg nach draußen.

Agostis neustes Werk, der 120minütige Spielfilm Uova di garofano (Nelkenfeier, 1991) spielt irgendwo in einem oberitalienischen Dorf und erzählt aus der Perspektive eines sechsjährigen Jungen vom Ende des Zweiten Weltkrieges. Faschismus und Katholizismus, Aberglaube und Kindheitsträume verweben sich in rätselhaften, leisen Blau- und Brauntönen zu einer eindrucksvollen, obgleich etwas langatmigen Erinnerungs- und Aufarbeitungsarbeit. Nachträglich verwundert, weshalb der Film auf der diesjährigen Berlinale nicht zu sehen war.

Von Agosti, der es sich inzwischen leisten kann, seine Ideen zu realisieren und in Cinecittà zu produzieren, sind die übrigen im Programm vertretenen RegisseurInnen (noch) weit entfernt. Die meisten Filme sind unübersehbar low-budget, dementsprechend kurz, manchmal dilettantisch, manchmal unkonventionell und auf der Suche nach neuen Sichtweisen.

Obwohl die ausgewählten Arbeiten sehr unterschiedlich sind, gibt es Schwerpunkte. Filme, die sich mit (gesellschafts-)politischen Themen auseinandersetzen, wie Lontano da Roma (Weit weg von Rom) von Davide Ferrario, einer Dokumentation über die nationalistisch-rassistischen Autonomiebewegungen in Norditalien. Das Politische mit dem Privaten verbinden Videos wie Il mostro dei Carpazi (Die Monster der Karpaten, Regie: Claudio Papalia) in dem Dokumentaraufnahmen von Ceausescus Ende mit Bildern von der Pensionierung eines gleichaltrigen Turiner Arbeiters verschränkt werden. Ähnlich verfährt Marco Sasia in Unico problema: non voglio stirare (Einziges Problem: ich will nicht bügeln). Fernsehwerbung rund um die Frau wird mit Radiomeldungen vom Golfkrieg unterlegt. Dazwischen gibt es, unübersehbar kontrastiv, Schwarzweißaufnahmen einer Frau, die ihren Körper im Spiegel betrachtet und durchaus realistisch zum Thema Weiblichkeit referiert.

Stellvertretend für jene italienischen Regisseure, die in den USA studiert haben und vor Ort Sozialkritisches üben, ist Christiano Bortone (dessen karges Roadmovie By the side of the road ebenfalls in der Reihe gezeigt wird). Sein Kurzfilm Loisaida spiegelt aus der Sicht eines kleinen Jungen die Gewalt und Armut in der Lower East Side von New York. Gesellschaftskritik à la Cannesrolle präsentieren zwei Folgen der sechsteiligen Reihe American Supermarket, die Davide Ferrario für den italienischen Privatsender Italia 1 zusammengestellt hat. Amerikanische Werbespots der fünfziger Jahre werden mit patriotischen Propagandafilmen aus dieser Zeit verschnitten, um laut Katalog den »American Dream« zu dekonstruieren.

Zu den interessantesten Filmen gehören Arbeiten, die sich mit der Dekonstruktion der Psyche, dem Verrücktsein beschäftigen. La ferita (Die Wunde) von Danielle Gaglianone versucht dem Weg einer Frau aus der »Normalität« über »Wahnsinn« zum Selbstmord nachzuspüren. Spielfilmsequenzen rund um die Protagonistin wechseln mit inszenierten Interviews, in denen Eltern und FreundInnen ihre Sicht der Dinge preisgeben. Auch in L'uoma diviso dall'ombra (Der vom Schatten geteilte Mann, Regie: Mauro Calvone) geht es um den wunden Punkt, an dem Leben umkippt. In weichem Schwarzweiß reihen sich die Gedankenfragmente eines Psychiatrieinsassen aneinander. Hastig montiert, bebildern sie das paranoide Treiben in Vergangenem und den Wahn der Gegenwart.

Ricordi difficili von Luca Fagioli erscheint beinahe als geraffte Version von Hitchcocks Psycho. Wie durch einen Türspion gefilmt, inszeniert der Film ein quälendes Gespräch zwischen Mutter (Off-Stimme) und Sohn. Franco, der eifersüchtig um die Liebe der Mutter buhlt, sich am Kameraauge reibt — bruchstückhafte Erinnerungen verdichten sich allmählich zum beängstigend- klaustrophobischen Gespinst intrafamiliärer Verstrickungen.

Cinema indipendente italiano ist eine Stichprobe von fünfzig unabhängigen italienischen Filmen. Filme eben, die nur selten in Kinos ankommen. Oder in Kurzfilmprogrammen gezeigt werden, um dort in der Bilder- und Themenflut unterzugehen. Dieser Gefahr kann auch das von Tubo Kurvo veranstaltete Festival sicher nicht aus dem Weg gehen. Zur Zeit gibt es jedoch kaum andere Möglichkeiten, um vor Augen zu führen, womit sich italienische RegisseurInnen jenseits von Fellini, Scola oder Rosi beschäftigen. Michaela Lechner

Cinema indipendente italiano vom 26.-29.3. im Arsenal. Zum Festival erscheint ein zweisprachiger Katalog mit Informationen zu RegisseurInnen und Filmen. Einige der RegisseurInnen (u.a. Silvano Agosti, Claudio Papalia, Luca Fagioli) werden ihre Filme vorstellen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen