Lustiges Clochardleben im Sommer?

Neukölln. »Sie werden vom Hausdetektiv des KaDeWe beim Klauen einer Fleischwurst erwischt. Gehen Sie sofort in das Gefängnis und setzen Sie eine Runde aus!« Mit der Monopoly-Persiflage Wohnopoly (Badstraße gleich Läusepension, Schloßallee gleich eigene Wohnung), Straßentheater, Goulaschkanone und einer Fotoausstellung machte die Arbeitsgruppe Berliner Wärmestuben (AGBW) gestern auf dem Hermannplatz auf die Situation von Wohnungslosen in der wärmeren Jahreszeit aufmerksam. Trotz strömenden Regens beteiligten sich über hundert Obdachlose an der sechsstündigen Aktion.

»Im Dezember kam fast jeden Tag ein Fernsehteam zu uns, heute ist nicht ein einziges da«, klagte Karsten Kroll von der Wärmestube »Warmer Otto«. Dabei dürfe in den Sommermonaten keineswegs von einem »lustigen und sonnigen Clochardleben unter den Brücken« ausgegangen werden. Klaus Schultz, der seit zwei Jahren »auf Platte« lebt, berichtete von »routinemäßigen Überfällen von Skinheads, Jugendlichen und Betrunkenen« sowie häufigen Erkältungen. »Gerade im Sommer bekommen Wohnunglose zuwenig Schlaf, weil es schon um fünf Uhr hell wird und sie dann von ihren Plätzen vertrieben werden«, ergänzte ein Sprecher der Wärmestuben. Mehrere Wohnungslose beschwerten sich, daß die bezirklichen Grünflächenämter ihre in Büschen zurückgelassenen Teppiche und Planen »zerstören«.

Angesichts steigender Obdachlosigkeit gerade im Ostteil Berlins und im Umland forderte der Zusammenschluß der Wärmestuben vom Senat zumindest die Verlängerung des Winter-Notübernachtungsprogramms, das zum 1. April ausläuft. Die Sozialverwaltung hatte im Oktober rund 300.000 Mark als »Kältehilfe« für Übernachtungsmöglichkeiten in Kirchengemeinden bereitgestellt, die bislang ungefähr hundert Menschen täglich nutzen können. Nach Auskunft der Sprecherin der Sozialverwaltung, Pohl, sei eine Verlängerung des Programms aber »nur bei andauernder Kälte« möglich. Nichtsdestotrotz finde sie die Forderung »berechtigt«, grundsätzlich mehr Betten für Wohnungslose zur Verfügung zu stellen.

Vor diesem Hintergrund zeigten sich die am Hermannplatz versammelten Obdachlosen enttäuscht, daß kein Vertreter der Senatsverwaltung beim Aktionstag vorbeischaute. Doch vor dem Unmut der Berliner Wohnungslosen, deren Zahl das Diakonische Werk auf rund 20.000 schätzt, brauchen Sozialsenatorin Ingrid Stahmer und die Senatsparteien kaum Angst zu haben: Wer keine Meldeadresse hat, darf an Wahlen nicht teilnehmen. Micha Schulze